Die Arche
Kontrolle entzogen. Doch
anstatt zusammenzubrechen, hatten sich die Systeme hemmungslos
weiterentwickelt und die verrücktesten
Rückkopplungsschleifen und -Schnörkel ausgebildet. Volyova
rieb sich auf in dem ständigen Bemühen, das Schiff davor zu
bewahren, dass es in seinen eigenen Absonderungen ertrank. Sie hatte
an tausend verschiedenen Stellen Bilgenpumpen aufgestellt, die den
Schleim in große Fässer zurückführten, wo er mit
einfachen chemischen Agenzien abgebaut werden konnte. Das Brummen der
Bilgenpumpen begleitete jeden Gedanken wie ein einziger langgezogener
Orgelton. Es war immer da. Sie nahm es schon gar nicht mehr wahr.
Wenn man wusste, wo man zu suchen hatte, und seine Augen so
umzustellen verstand, dass man im Chaos Muster entdeckte, konnte man
eben noch erkennen, wo der Kälteschlaftank gewesen war. Als sie
den Captain aufgewärmt hatte – indem sie eine Salve
Flechette-Munition in das Steuerungssystem des Tanks jagte –,
hatte sich das Tempo, in dem er das Schiff um sich herum
zerstörte, stark beschleunigt. Er hatte seine Umgebung Atom
für Atom zerlegt und mit sich selbst verschmolzen. Die Hitze war
wie in einem Backofen gewesen. Sie hatte das Endstadium der
Transformationen nicht abgewartet, aber man hatte absehen
können, dass der Captain nicht aufhören würde, bis er
große Teile des Schiffes assimiliert hatte. Es war eine
entsetzliche Vorstellung, aber für Volyova war sie immer noch
erträglicher gewesen, als das Schiff der Kontrolle Sonnendiebs
zu überlassen, eines anderen Monsters. Sie hatte gehofft, der
Captain könnte der parasitären Intelligenz, die sich auf
der Sehnsucht nach Unendlichkeit eingenistet hatte, wenigstens
etwas von ihrem Einfluss abnehmen.
Und diese Hoffnung hatte sich tatsächlich erfüllt. Mit
der Zeit hatte sich der Captain das ganze Schiff Untertan gemacht und
nach seinen eigenen Fieberträumen gestaltet. Volyova wusste,
dass dieser Seuchenfall in seiner Art einmalig war. So weit bekannt,
gab es nur einen Erregerstamm der Schmelzseuche, und das Schiff war
von dem gleichen Organismus befallen worden, der im
Yellowstone-System und anderswo so verheerende Schäden
angerichtet hatte. Volyova hatte Bilder von Chasm City nach der
Seuche gesehen. Die Stadt hatte eine grotesk verzerrte Architektur
entwickelt, die wie ein kranker Traum ihrer selbst anmutete. Doch
obwohl diese Transformationen gelegentlich eine gewisse
Zielstrebigkeit, ja sogar eine künstlerische Absicht spüren
ließen, konnte man nicht behaupten, sie würden von einer
echten Intelligenz gesteuert. Die Gebäude hatten
gewissermaßen nur Formen angenommen, die in den biologischen
Bauplänen bereits angelegt waren. Was dagegen auf der Unendlichkeit geschehen war, ließ sich damit nicht
vergleichen. Die Seuche hatte jahrelang im Captain geschlummert,
bevor sie anfing, ihn umzugestalten. War es möglich, dass es zu
einer Symbiose gekommen war und dass sich, als die Seuche
schließlich ausbrach, auf das Schiff übergriff und es
umgestaltete, in den Transformationen irgendwie auch das
Unterbewusstsein des Captains Ausdruck verschaffte?
Sie hoffte, der Verdacht würde sich nicht bestätigen.
Denn wie man es auch ansah, das Schiff war zu einem Monstrum
geworden. Als Khouri von Resurgam heraufkam, hatte Volyova sehr von
oben herab getan, was die Transformationen anging, doch das war nur
Schau gewesen, nicht nur für Khouri, sondern auch für sich
selbst. In Wirklichkeit brachte das Schiff sie in vielerlei Hinsicht
aus der Fassung. Kurz bevor sie den Captain erwärmte, hatte sie
Einblick in seine Verbrechen gewonnen und einen flüchtigen Blick
in die Hölle aus Hass und Schuldgefühlen geworfen, die er
sein Bewusstsein nannte. Inzwischen schien sich dieses Bewusstsein so
weit ausgedehnt zu haben, dass sie darin herumspazieren konnte. Der
Captain und das Schiff waren eins geworden. Er hatte seine Verbrechen
auf das Schiff übertragen und es zum Denkmal seiner eigenen
Schlechtigkeit gemacht.
Sie betrachtete die Konturen, die verrieten, wo einst der Tank
gewesen war. In den späteren Phasen der Krankheit hatte das
Aggregat, das dicht an einer Wand stand, nach allen Seiten silberne
Fäden ausgeschickt, die sich durch das geborstene Gehäuse
bis ins Innere des Captains und in sein Zentralnervensystem
zurückverfolgen ließen. Inzwischen waren diese
Sensorfühler wie riesige, vielfach verzweigte und wieder
vereinigte Tintenfischarme immer weiter vorgedrungen und hatten sich
des ganzen Schiffs bemächtigt. An
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