Die Arche
mehreren Dutzend Stellen
fanden sie zusammen und bildeten Geflechte von phantastischer
Komplexität, die Volyova inzwischen für größere
Nervenganglien hielt. Der Körper des Captains war restlos
verschwunden, aber seine Intelligenz spukte, grotesk aufgebläht
und heillos verwirrt, nach wie vor durch das ganze Schiff. Volyova
war nicht sicher, ob die Knoten verteilte Gehirne oder lediglich
kleine Bestandteile eines viel größeren,
schiffsumfassenden Intellekts waren. Sicher war nur eines: John
Brannigan war noch gegenwärtig.
Als sie vor Hades Schiffbruch erlitten hatte und Khouri für
tot hielt, hatte sie fest damit gerechnet, von der Unendlichkeit exekutiert zu werden. Der Captain war damals bereits
erwärmt, und sie hatte ihm erzählt, dass sie seine
Verbrechen entdeckt hatte, er hätte also allen Grund gehabt, sie
zu bestrafen.
Doch er hatte sie nicht nur verschont, sondern sogar gerettet. Mit
seiner Erlaubnis war sie auf das Schiff zurückgekehrt, das immer
noch weiter von ihm durchdrungen und transformiert wurde. Er hatte
jeden Versuch einer Kontaktaufnahme ignoriert, aber er hatte es ihr
ermöglicht zu überleben. Es gab Nischen, wo seine
Transformationen weniger ausgeprägt waren, und dort konnte sie
existieren. Sie hatte festgestellt, dass diese Nischen sogar
mitwanderten, wenn sie beschloss, sich in einem anderen Teil des
Schiffes niederzulassen. Brannigan – oder was immer das Schiff
steuerte – wusste also nicht nur, dass sie an Bord war, sondern
auch, was nötig war, um sie am Leben zu erhalten. Als sie nach
einiger Zeit Khouri aus dem All fischte, hatte das Schiff auch sie
aufgenommen.
Es war, als bewohnte man ein Spukschloss mit einem einzigen, aber
sehr fürsorglichen Gespenst. Das Schiff hatte in gewissen
Grenzen alles bereitgestellt, was sie brauchten. Aber es behielt die
absolute Kontrolle. Es bewegte sich, außer zu kurzen
Flügen innerhalb des Systems, nicht von der Stelle. Und es gab
ihnen keinen Zugriff auf die Waffen, schon gar nicht auf den
Geschützpark.
Volyova hatte ihre Kontaktversuche fortgesetzt, aber es war
vergeblich gewesen. Nichts passierte, wenn sie mit dem Schiff sprach.
Wenn sie optische Botschaften kritzelte, bekam sie keine Antwort. Und
doch war sie überzeugt, dass das Schiff ihr zuhörte. Es war
nur in tiefe Katatonie verfallen, hatte sich in Reue und
Selbstvorwürfen eingeschlossen wie in einer privaten
Folterkammer.
Es verabscheute sich selbst.
Dann war Khouri fortgegangen, hatte sich auf Resurgam in die
Inquisitionsbehörde eingeschleust und von dort aus den ganzen
verfickten Planeten an der Nase herumgeführt, um sich und
Volyova alle Türen zu öffnen.
Die ersten Monate der Einsamkeit waren selbst für eine Ilia
Volyova nicht leicht gewesen. Irgendwann hatte sie sich eingestehen
müssen, doch ein gewisses Bedürfnis nach menschlicher
Gesellschaft zu verspüren. Das Zusammenleben mit einem
verstockten, in sich gekehrten, hasserfüllten Bewusstsein
hätte sie fast in den Wahnsinn getrieben.
Doch irgendwann hatte das Schiff auf seine Weise begonnen, ihr zu
antworten. Die Reaktionen waren so unscheinbar, dass sie sie
zunächst fast übersehen hätte. Tagtäglich gab es
hunderte von Arbeiten zu erledigen – die Rattenplage nahm
überhand… die Bilgenpumpen versagten immer wieder… die
Seuche musste mit Nanomaschinen, Feuer, Kühlmittel und
Chemiesprays von kritischen Punkten ferngehalten werden… Da
blieb keine Zeit, die Hände in den Schoß zu legen und
darauf zu warten, ob das Schiff einen schüchternen
Annäherungsversuch unternähme.
Doch eines Tages war ihr aufgefallen, dass sich die Servomaten
ungewöhnlich benahmen. Wie die verwilderten Ratten waren sie
einst Teil der Reparatur- und Neugestaltungssysteme des Schiffes
gewesen. Die klügsten Roboter waren der Seuche zum Opfer
gefallen, aber die ältesten und dümmsten waren noch
vorhanden, verrichteten auch weiterhin ihre Arbeit und nahmen nur am
Rande wahr, dass sich das Schiff um sie herum verändert hatte.
Volyova kümmerte sich nicht weiter um sie, denn meist waren sie
weder hinderlich noch hilfreich. Gelegentlich machten sie sich zwar
auch nützlich, aber das kam so selten vor, dass sie sich schon
lange nicht mehr darauf verließ.
Doch mit einem Mal gingen die Servomaten dazu über, ihr
Hilfsdienste zu leisten. Mit einer ausgefallenen Bilgenpumpe fing es
an. Sie hatte die Panne registriert und sich auf den Weg gemacht, um
sich das Problem vor Ort zu betrachten. Als sie eintraf, sah sie
erstaunt
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