Die Arche
Schreckenswaffen wohl stammen mochten. Sie waren
sicherlich von Menschen gebaut worden, aber von ihrem
Zerstörungspotenzial her mit keinem anderen bisher entwickelten
Waffensystem zu vergleichen. Vor Jahrhunderten, lange bevor Volyova
auf das Schiff gekommen war, hatte die Sehnsucht nach
Unendlichkeit das ganze Arsenal im Innern eines befestigten
Asteroiden gefunden, eines namenlosen Felsbrockens, der um einen
gleichermaßen namenlosen Stern kreiste. Vielleicht hätten
sich bei einer gründlicheren forensischen Untersuchung des
Asteroiden Anhaltspunkte dafür finden lassen, wer die
Geschütze hergestellt hatte oder wem sie bis zu diesem Zeitpunkt
gehörten, aber dafür hatte die Besatzung nicht die
Muße gehabt. Sie hatte die Geschütze auf das Schiff
gebracht und sich eilends vom Schauplatz des Verbrechens entfernt,
bevor sich die Verteidigungseinrichtungen des Asteroiden von ihrer
Verblüffung erholen konnten.
Volyova hatte natürlich ihre Theorien. Die vielleicht
wahrscheinlichste lautete, dass die Geschütze aus den
Waffenschmieden der Synthetiker stammten. Die Spinnen hatten sich
lange genug in der Gegend herumgetrieben. Aber wenn die
Geschütze ihnen gehörten, wieso hatten sie dann zugelassen,
dass man sie ihnen so einfach unter der Nase weg schnappte? Und warum
hatten sie nie versucht, sich ihr rechtmäßiges Eigentum
wiederzuholen?
Die Fragen hatten sich erübrigt. Die Weltraumgeschütze
befanden sich seit Jahrhunderten an Bord ihres Schiffes. Wer sollte jetzt noch kommen, um sie zurückzufordern.
Sie sah sich den Schacht genauer an. Sie war von nackter Technik
umgeben: Schalttafeln, Anzeigen, Leitungen, Relais und Instrumente,
deren Zweck nicht auf Anhieb ersichtlich war. Schon wurde sie von
einer leisen Unruhe erfasst. Das Geschütz richtete ein
Magnetfeld auf ein Teil ihres Gehirns und erzeugte damit phobische
Ängste.
Sie kannte das schon. Sie war nicht zum ersten Mal hier.
Sie löste verschiedene Module vom Tragegestell ihres
Rucksacks und klebte sie mit epoxid-beschichteten Polstern an die
Innenseite des Schachts. Aus diesen Modulen, die sie selbst
entwickelt hatte, zog sie mehrere Dutzend farbcodierter Kabel, die
sie direkt mit den Maschinenteilen verband oder in freiliegende
Leitungen einspleißte.
»Ilia«, fragte Khouri. »Wie kommst du
voran?«
»Gut. Dem System gefällt es nicht besonders, dass ich
hier drin bin, aber es kann mich nicht rausschmeißen – ich
habe ihm die richtigen Zugriffscodes gegeben.«
»Hat es schon mit der Angstmasche angefangen?«
»Das kann man wohl sagen.« Sie hätte am liebsten
aufgeschrien vor Entsetzen. Es war, als würde ihr Gehirn mit
einer Elektrode berührt, die ihre primitivsten Urängste an
die Oberfläche zerrte. »Aber vielleicht könnten wir
unsere Unterhaltung auf später verschieben, Khouri? Ich
möchte das… so schnell… wie möglich… hinter
mich bringen.«
»Wir müssen uns darüber klar werden, wie wir mit
Thorn verfahren wollen.«
»Schön. Aber später, ja?«
»Er muss hierher kommen.«
»Khouri, tu mir einen Gefallen: lass Thorn aus dem Spiel und
achte lieber auf das, was du tust, verstanden?«
Volyova hielt inne und sammelte sich. So weit war trotz der Angst
alles besser gegangen, als sie zu hoffen gewagt hatte. Sie war bisher
erst einmal so tief in das Steuerungssystem des Geschützes
vorgedrungen. Damals hatte sie den Befehlen vom Schiff höchste
Priorität zugewiesen. Jetzt befand sie sich auf der gleichen
Ebene wie damals und könnte mit der richtigen Befehlssyntax den
Captain theoretisch ein für allemal ausschließen. Dies war
zwar nur ein Geschütz von dreiunddreißig, von denen ihr
etliche völlig fremd waren. Aber sie brauchte sicher nicht den
ganzen Geschützpark, um etwas zu bewirken. Wenn sie ein Dutzend
Geschütze unter ihre Kontrolle bekäme, wäre das
hoffentlich schon genug, um den Unterdrückern einen
Schraubenschlüssel ins Getriebe zu werfen…
Und das würde ihr nicht gelingen, wenn sie sich weiter um
eine Entscheidung herumdrückte.
»Khouri, hör zu, kleine Planänderung.«
»O je.«
»Ich mache weiter und versuche, das Geschütz dazu zu
bringen, dass es sich ausschließlich meiner Kontrolle
unterwirft.«
»Das nennst du eine kleine Planänderung?«
»Es besteht absolut kein Grund zur Besorgnis.«
Bevor die Angst so überwältigend werden konnte, dass sie
aufgab, schloss sie die letzten Kabel an. Statuslichter blinkten und
pulsierten; ein Wust von alphanumerischen Symbolen flimmerte
über die Displays.
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