Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
frei.«
    Die Drohne zog ihre Manipulatoren zurück. Antoinette rang
nach Atem und wischte sich die Tränen aus den Augen. Die
Maschine wandte sich an Xavier.
    »Störung eines Beamten oder eines offiziellen Apparates
des Ferrisville-Konvents bei der Ausübung seines Amtes ist ein
Delikt der Stufe…«
    Ohne den Satz zu beenden, fuhr sie verächtlich den Taser-Arm
aus und berührte Xaviers Oberkörper mit den Funken
sprühenden Elektroden. Xavier stieß einen bellenden Laut
aus, schüttelte sich einmal und regte sich nicht mehr. Seine
Augen waren weit aufgerissen, und sein Mund stand offen.
    »Xavier…«, keuchte Antoinette.
    »Das Ding hat ihn umgebracht«, sagte Clock und
löste seine Sicherheitsgurte. »Wir müssen etwas
tun.«
    »Verdammt, was kümmert Sie das?«, fauchte
Antoinette. »Sie sind doch an allem schuld.«
    »Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, es kümmert
mich durchaus.« Er erhob sich und tastete nach dem nächsten
Haltegriff. Die Maschine drehte sich auf der Stelle und sah ihn an.
Clock wich nicht zurück. Er war als Einziger beim Eintreten der
Drohne nicht zusammengezuckt. »Lass mich vorbei. Ich will ihn
untersuchen.«
    Die Maschine torkelte auf Clock zu. Vielleicht erwartete sie, dass
er ihr im letzten Moment noch aus dem Weg gehen oder sich ducken
würde. Aber Clock stand wie angewurzelt und zuckte nicht einmal
mit der Wimper. Die Drohne hielt an und summte und klickte hektisch.
Offenbar wusste sie nicht so recht, was sie von ihm zu halten
hatte.
    »Zurück!«, befahl sie.
    »Lass mich vorbei, oder willst du einen Mord begehen? Du
wirst von einem menschlichen Gehirn gesteuert und weißt ebenso
gut wie ich, was eine Hinrichtung ist.«
    Wieder hob die Drohne ihren Taser.
    »Das nützt dir nichts«, warnte Clock.
    Die Drohne hielt ihm den Taser dicht unter das Schlüsselbein
und drückte ab. Die Funkenbrücke zwischen den Polen
fraß sich wie ein Aal durch seine Kleider. Aber Clock war nicht
bewegungsunfähig, er verzog nicht einmal das Gesicht.
    »Bei mir wirkt das nicht«, sagte er. »Ich bin
Synthetiker, und mein Nervensystem ist nicht ganz
menschlich.«
    Der Taser fraß sich jetzt in seine Haut. Antoinette erkannte
den Geruch nach verbranntem Fleisch, ohne ihm jemals zuvor begegnet
zu sein.
    Clock zitterte, seine Haut war noch bleicher und wächserner
geworden. »Es wirkt nicht…«, stieß er hervor.
Die Maschine zog den Taser zurück. Sie hatte ihm ein schwarzes
Loch von einem Zentimeter Tiefe ins Fleisch gebrannt. Clock
bemühte sich noch immer, seinen Satz zu beenden.
    Die Maschine stieß ihn mit dem runden Lauf ihrer
Gatling-Kanone beiseite. Knochen krachten; Clock wurde gegen die Wand
geschleudert und regte sich nicht mehr. Er sah aus wie ein Toter,
allerdings war er Antoinette noch nie wirklich lebendig erschienen.
Der Gestank nach verbrannter Haut erfüllte die Kabine. Sie
würde ihn so schnell nicht vergessen.
    Wieder sah sie Xavier an. Clock hatte etwas für ihn tun
wollen. Er war schon seit etwa einer halben Minute ›tot‹.
Anders als Clock, anders als alle Synthetiker hatte er keine
raffinierten Maschinchen zur Verhinderung von Hirnschäden nach
längerem Kreislaufstillstand im Kopf. Viel länger als eine
Minute blieb ihm nicht mehr…
    »Mr. Pink…«, flehte sie.
    »Tut mir Leid«, sagte das Schwein. »Das ist nicht
mein Problem. Mit mir ist es ohnehin aus.«
    Ihr Kopf schmerzte noch immer. Sicher waren die Knochen
gequetscht. Die Drohne hätte ihr fast den Schädel
gebrochen. Aber Mr. Pink hatte Recht. Es war aus mit ihnen. Da kam es
auf eine Verletzung mehr oder weniger nicht an. Sie konnte Xavier
nicht einfach so liegen lassen, sie musste etwas tun.
    Sie verließ ihren Platz.
    »Halt«, sagte die Drohne. »Am Tatort darf nichts
verändert werden. Veränderungen an einem offiziell zum
Tatort erklärten Schauplatz eines Verbrechens gelten als Delikt
der Stufe…«
    Ohne sich beirren zu lassen, schwang sie sich von Griff zu Griff,
bis sie Xavier erreichte. Die Drohne kam ihr entgegen – das
Knistern des Tasers wurde stärker. Xavier war seit einer Minute
tot. Er atmete nicht. Sie fasste nach seinem Handgelenk, suchte nach
einem Puls. War das überhaupt die richtige Stelle,
überlegte sie fieberhaft. Oder eher seitlich am Hals…
    Die Drohne stieß sie so mühelos zur Seite, als
wäre sie ein Reisigbündel, doch sie kehrte sofort wieder
zurück. Sie war noch nie so wütend gewesen, wütend und
verängstigt zugleich. Xavier lag im Sterben – eigentlich war er bereits tot.

Weitere Kostenlose Bücher