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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Augenblick der Vollkommenheit. Die Stadt hatte
viele Veränderungen durchlaufen, aber sie verblassten neben den
Wechselfällen seines eigenen langen Lebens.
    Es ist vollbracht, dachte er.
    Das Schiff war unterwegs, er hatte Clavain geholfen, seinen
Auftrag zu erfüllen und damit endlich die eine gute Tat seines
Lebens vollbracht, die über jeden Zweifel erhaben war. Gewiss
konnte sie nicht alle Sünden seiner Vergangenheit sühnen,
all die Grausamkeiten, die er begangen, all die Freundlichkeiten, die
er unterlassen hatte. Sie wog nicht einmal auf, dass es ihm nicht
gelungen war, die gequälte Made zu retten, bevor sie der
Mademoiselle in die Hände fiel. Aber sie war besser als
nichts.
    Alles war besser als nichts.
    Der Balkon klebte an der Außenwand des schwarzen
Gebäudes und hatte nur eine niedrige Brüstung. H trat ganz
an den Rand. Der warme Hauch – die Ähnlichkeit mit dem Atem
eines Tieres war unverkennbar – war hier so stark, dass man eher
von einem Wind sprechen musste. Weit unten, in Schwindel erregender
Tiefe, lag die Stadt, ein wogendes Lichtermeer, das ihn an den Himmel
über seiner Heimatstadt nach einem der vielen Luftkämpfe
erinnerte, die er in seiner Jugend erlebt hatte.
    Er hatte geschworen, seinem Leben ein Ende zu setzen, wenn es ihm
jemals gelänge, eine Tat zu vollbringen, die einen Teil seiner
Schuld sühnen konnte. Besser, man trat ab, ohne die Rechnung
vollends beglichen zu haben, als sich der Gefahr auszusetzen,
womöglich noch schlimmere Verbrechen zu begehen. Der Hang zum
Bösen war immer noch in ihm, tief vergraben zwar, und das seit
vielen Jahren, aber nicht getilgt. Zusammengerollt wie eine
Hamadryade lauerte er nur auf seine Chance. Nein, das Risiko war zu
groß.
    Er schaute hinab und malte sich aus, wie es sein würde. Ein
Augenblick nur, und es wäre vorüber, er wäre nur noch
den Gesetzen der Ballistik unterworfen, ginge auf im eleganten Spiel
von Masse und Gravitation. Kein Schmerz mehr, keine Sehnsucht nach
Erlösung.
    Eine Frauenstimme schallte durch die Nacht. »Nein,
H!«
    Er sah sich nicht um, sondern verharrte am Rand des Abgrunds. Die
Stadt zog ihn immer noch wie magisch an.
    Sie trat mit klappernden Absätzen auf den Balkon. Ihr Arm
legte sich um seinen Körper. Sanft und liebevoll zog sie ihn
zurück.
    »Nein«, flüsterte sie. »So darf es nicht
enden. Nicht hier und nicht jetzt.«

 
Kapitel 24

     
     
    »Da ist der Fluchtwagen«, sagte der kleine dunkle Mann
und wies mit einem Nicken zu dem einsamen Fahrzeug am
Straßenrand.
    Thorn beobachtete den zusammengesunkenen Schatten hinter der
Windschutzscheibe. »Der Fahrer scheint zu schlafen.«
    »Tut er nicht.« Dennoch hielt Thorns Fahrer zur
Sicherheit neben dem anderen Wagen an. Beide waren von der Form her
identisch, angelehnt an das staatlich geförderte Standardmodell.
Nur war der Fluchtwagen älter und dunkler und zeigte im Regen
matte Stellen, wo der Lack ausgebessert worden war. Thorns Fahrer
stieg aus, stapfte durch Pfützen zu dem parkenden Wagen und
klopfte energisch ans Fenster. Sein Kollege kurbelte die Scheibe
herunter, und die beiden sprachen etwa eine Minute lang miteinander.
Thorns Fahrer unterstrich seine Ausführungen mit vielen Gesten
und lebhafter Mimik. Dann kam er zurück und stieg leise fluchend
wieder ein. Er löste die Handbremse, und ihr Wagen glitt mit
leisem Zischen über die nasse Fahrbahn.
    »In dieser Straße parkt sonst nirgendwo ein Auto«,
bemerkte Thorn. »Wird er nicht auffallen, wenn er so lange hier
steht?«
    »Möchtest du lieber gar keinen Wagen in dieser elenden
Nacht?«
    »Nein. Aber sieh zu, dass der Faulpelz eine gute Ausrede hat,
falls Vuilleumiers Schläger ein paar Takte mit ihm reden
wollen.«
    »Keine Sorge, er hat schon eine Erklärung parat. Er wird
sagen, er glaubt, dass ihn seine Frau betrügt. Siehst du den
Wohnblock da drüben? Den beobachtet er, falls sie auftaucht,
während sie angeblich Nachtschicht hat.«
    »Dann sollte er aber allmählich aufwachen.«
    »Ich habe ihm gesagt, er soll munterer dreinschauen.«
Sie fegten um eine Ecke. »Reg dich ab, Thorn. Du hast das doch
schon hundertmal gemacht, und wir haben in diesem Teil von Cuvier ein
Dutzend Stadtteilversammlungen abgehalten. Schließlich hast du
mich doch eingestellt, damit du dich um den Kram nicht zu
kümmern brauchst.«
    »Du hast ja Recht«, sagte Thorn. »Es ist wohl nur
das übliche Lampenfieber.«
    Der Mann lachte. »Du und Lampenfieber?«
    »Es steht eine Menge auf dem Spiel. Ich will die

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