Die Arche
sanft nach oben gewölbten Schiffsbauch behindert; doch
nach den Seiten und nach unten hatte sie freie Sicht.
»Du hattest Recht, Dad«, hauchte sie so leise, dass
Biest sie hoffentlich nicht verstehen konnte. »Die Gegend ist
wirklich unglaublich. Du hast eine gute Wahl getroffen, das muss man
dir lassen.«
»Kleine Miss?«
»Nichts, Biest.«
Sie löste den Sarg vom Gitter. Das Schiff schwankte ein paar
Mal, ihr Magen schlug Purzelbäume, und der Sarg wurde gegen die
Streben geworfen, aber alles in allem leistete Biest ausgezeichnete
Arbeit. Das Schiff blieb auf gleicher Höhe. Seine
Geschwindigkeit lag im Verhältnis zu den herrschenden
Luftströmungen so weit unter Schallgeschwindigkeit, dass es
eigentlich nur auf der Stelle schwebte, aber das war gut so.
Antoinettes Hoffnung hatte sich erfüllt. Bis auf gelegentliche
Böen war der Wind sehr viel schwächer geworden.
Der Sarg stand jetzt fast frei, gleich konnte sie ihn über
die Kante kippen. Ihr Vater sah aus, als hielte er ein
Mittagsschläfchen. Die Leichenkosmetiker hatten ein Meisterwerk
vollbracht, den Rest hatte das altersschwache Kühlsystem des
Sarges erledigt. Unvorstellbar, dass der Mann schon einen Monat lang
tot sein sollte.
»Also, Dad«, sagte Antoinette, »ich denke, das
war’s. Wir haben es geschafft. Viel gibt es jetzt nicht mehr zu
sagen.«
Das Schiff war so taktvoll, den Mund zu halten.
»Ich weiß immer noch nicht, ob ich wirklich das
Richtige tue«, fuhr Antoinette fort. »Ich meine, ich
weiß natürlich, dass du einmal erwähnt hast, du
wolltest es so, aber…« Hör auf, befahl sie
sich. Fang nicht noch einmal damit an.
»Kleine Miss?«
»Ja?«
»Man muss eindringlich davon abraten, noch sehr viel
länger zu verweilen.«
Antoinette musste an das Etikett der Bierflasche denken. Sie hatte
es nicht zur Hand, aber im Geiste sah sie es in allen Einzelheiten
vor sich. Die goldenen und silbernen Linien leuchteten nicht mehr so
wie an jenem Tag, als sie das Schild so liebevoll von der Flasche
abgelöst hatte, aber in ihrer Erinnerung hatten sie nichts von
ihrem edlen Glanz verloren. Das Etikett war ein billiges
Massenprodukt, aber unter ihren Händen und in ihrer Fantasie war
es zu einem religiösen Symbol geworden. Sie war noch sehr jung
gewesen, als sie es an sich nahm, vielleicht zwölf oder dreizehn
Jahre alt. Ihr Vater hatte bei einem Auftrag so gut verdient, dass er
sie in eine der Kneipen mitgenommen hatte, wo sich die Händler
manchmal trafen. Sie hatte nicht viel Erfahrung, aber für sie
war es ein gelungener Abend gewesen, die Männer hatten viel
gelacht und sich Geschichten erzählt. Irgendwann gegen Ende
hatte sich das Gespräch dann den verschiedenen Verfahren
zugewandt, mit denen traditionsgemäß oder auf eigenen
Wunsch die sterblichen Überreste von Raumfahrern entsorgt
wurden. Ihr Vater hatte sich bis dahin eher zurückgehalten. Er
hatte lächelnd verfolgt, wie die Unterhaltung zwischen Scherz
und Ernst hin und her wechselte, und mit den anderen über die
Witze und die Frotzeleien gelacht. Doch dann hatte er sehr zu
Antoinettes Verwunderung erklärt, sein Wunsch sei es, nach
seinem Tod in die Atmosphäre eines Gasriesen gebracht zu werden.
Normalerweise hätte sie angenommen, er wolle damit nur die
Vorschläge seiner Kollegen lächerlich machen, aber an
seinem Tonfall hatte sie bemerkt, dass es ihm vollkommen ernst war.
Das war kein spontaner Einfall, obwohl er bis dahin nie davon
gesprochen hatte. Da hatte sie im Stillen ein Gelübde abgelegt.
Sie hatte zum Andenken das Etikett von der Flasche abgelöst und
sich geschworen, diesen Wunsch nicht zu vergessen, sollte ihr Vater
jemals sterben und sie sich in der Lage sehen, ihn zu
erfüllen.
In all den Jahren danach war es ihr so selbstverständlich
gewesen, ihr Versprechen zu halten, dass sie kaum noch daran gedacht
hatte. Doch jetzt war er tot, und obwohl ihr das Gelübde
inzwischen ein wenig albern und kindisch vorkam, konnte sie nicht
mehr zurück. Den Ausschlag gab die tiefe Überzeugung, die
sie an jenem Abend hinter seinen Worten gespürt hatte. Sie war
erst zwölf oder dreizehn gewesen, vielleicht hatte sie sich
alles nur eingebildet oder war auf seine todernste Miene
hereingefallen, aber sie hatte das Gelübde nun einmal abgelegt,
und auch wenn es ihr jetzt ganz und gar nicht ins Konzept passte,
auch wenn sie damit ihr Leben riskierte, sie musste dazu stehen.
Sie löste die letzten Befestigungen und schob den Sarg
weiter, bis er zu einem Drittel über den Rand
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