Die Arche
aber die Chancen standen besser als
fünfzig zu fünfzig. Remontoire und Clavain wollten den
Feind jedoch gar nicht abschießen. Sie wollten warten, bis das
Schiff, langsam und mit vollen Treibstofftanks, aber nicht besser
bewaffnet als zuvor, wieder aus der Atmosphäre auftauchte, um es
dann zu entern, seine Datenspeicher zu plündern und die
Besatzung für das Mutternest zu rekrutieren.
Ein Enterkommando kann ich nicht genehmigen. Die Gefahren
für die Nachtschatten wären größer als
jeder denkbare Nutzen.
Sie spürte, wie Clavain versuchte, in ihr Bewusstsein
einzudringen. [Wieso, Skade? Gibt es irgendetwas, das dieses
Schiff so außergewöhnlich wertvoll macht? Wenn ja, dann
wundert es mich doch sehr, dass niemand es für nötig hielt,
mir etwas davon zu sagen.]
Es ist eine Angelegenheit des Inneren Konzils, Clavain.
Man hatte dir Gelegenheit gegeben, dich uns
anzuschließen.
[Auch dann hätte er nicht alles erfahren, nicht
wahr?]
Ärgerlich wandte sie sich Remontoire zu. Du weißt,
dass ich im Auftrag des Inneren Konzils hier bin, Remontoire. Nur
darauf kommt es an.
[Aber ich gehöre auch zum Inneren Konzil, und dennoch
weiß ich nicht genau, was du hier machst. Was ist es denn nun
wirklich, Skade – ein geheimer Auftrag für das
Allerheiligste?]
Skade schäumte vor Wut. Alles wäre so viel einfacher,
wenn man sich nicht mit alten Synthetikern herumzuschlagen
bräuchte. Das Schiff ist sehr wertvoll, das ist richtig. Es
ist ein Prototyp, und alle Prototypen sind kostbar. Aber das wisst
ihr doch sowieso. Natürlich wollen wir es nicht bei einem
kleinen Scharmützel verlieren.
[Aber da steckt eindeutig mehr dahinter.]
Mag sein, Clavain, aber dies ist nicht der richtige Zeitpunkt,
um darüber zu sprechen. Schick eine Raketensalve hinter dem
Demarchisten-Schiff her und reserviere eine zweite für den
Frachter.
[Nein. Wir warten, bis beide Schiffe auf der anderen Seite
wieder herauskommen. Dann werden wir handeln, vorausgesetzt, eines
davon hat überlebt.]
Das kann ich nicht zulassen. Also gut. Sie hatte gehofft,
es würde nicht so weit kommen, aber Clavain ließ ihr keine
andere Wahl. Skade konzentrierte sich und setzte eine Serie von
komplexen Neuralbefehlen ab. Die Waffensysteme bestätigten,
erkannten ihre Autorität an und unterwarfen sich ihrem Kommando.
Sie beherrschte sie nicht vollkommen, die Feinsteuerung funktionierte
nicht so unmittelbar wie bei ihren eigenen Systemen, aber es
würde reichen, um ein paar Raketen abzufeuern.
[Skade…?]
Das war Clavain; er ahnte wohl, dass sie im Begriff war, ihm die
Kontrolle zu entziehen. Sie spürte, wie überrascht er war,
dass sie das überhaupt konnte. Skade gab der Salve ihren Kurs
vor. In den Abschusssystemen begannen die Zielsuchraketen zu
zittern.
In diesem Augenblick meldete sich in ihrem Kopf eine ruhige Stimme
zu Wort. [Nein, Skade.]
Es war das Nachtkonzil.
Was?
[Gib die Kontrolle wieder ab. Tu, was Clavain sagt. Auf lange
Sicht ist es der bessere Weg.]
Nein, ich…
Der Ton des Nachtkonzils wurde schärfer. [Gib die Waffen
frei, Skade!]
Sie war beschämt und über die Zurechtweisung
empört, aber sie gehorchte.
* * *
Antoinette erreichte den Sarg ihres Vaters. Er stand noch genau so
im Lagergitter des Frachtraums, wie sie ihn der Polizeidrohne gezeigt
hatte.
Sie strich mit der behandschuhten Hand über die
Oberfläche. Durch das gläserne Sichtfenster konnte sie sein
Profil sehen. Die Familienähnlichkeit war augenfällig,
obwohl Alter und Schwerkraft seine Züge zu einer
übertrieben maskulinen Karikatur ihrer eigenen verformt hatten.
Die Augen waren geschlossen, und soweit sie seinen Gesichtsausdruck
erkennen konnte, wirkte er fast gelangweilt. Ihr Vater hätte es
durchaus fertig gebracht, die ganze Aufregung einfach zu verschlafen.
Wie oft hatte er mit seinem Schnarchen das ganze Flugdeck
erfüllt! Einmal hatte sie ihn allerdings dabei ertappt, wie er
sich nur schlafend stellte und unter halb geschlossenen Lidern hervor
beobachtete, wie sie sich in der gerade aktuellen Krise
bewährte. Er hatte ja gewusst, dass sie eines Tages ganz alleine
würde zurechtkommen müssen.
Antoinette kontrollierte, ob der Sarg noch fest am Gitter verzurrt
war, aber die Befestigungen hatten sich während der
jüngsten Manöver nicht gelockert.
»Biest…«, sagte sie.
»Kleine Miss?«
»Ich bin unten im Frachtraum.«
»Man ist sich dessen unangenehm bewusst, Kleine
Miss.«
»Ich möchte, dass du auf Unterschallgeschwindigkeit
gehst. Rufe mich
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