Die Arche
Verbrennung im Herzen einer Sonne herrscht ein
empfindliches Gleichgewicht von Druck und Schwerkraft. Alles, was
dieses Gleichgewicht stört, hätte katastrophale
Auswirkungen auf das Gesamtverhalten der Sonne. Aber Sonnen sind
flexibel. Sie werden immer versuchen, ein neues Gleichgewicht zu
finden, auch wenn sie sich dazu auf die Fusion von schwereren
Elementen umstellen müssten.« Wieder wandte sich der
Triumvir dem Fenster zu und klopfte mit den Fingern gegen das Glas.
»Vielleicht werden die Unterdrücker auch einen Mechanismus
anwenden, der für uns gar nicht verständlich ist. Aber das
spielt keine Rolle, denn dazu wird es nicht kommen.«
»Wie bitte?«, fragte Khouri.
»Ich habe nicht vor, so lange zu warten, Ana. Zum ersten Mal
konzentrieren die Unterdrücker ihre Aktivitäten auf einen
bestimmten Punkt. Ich glaube, dass sie jetzt am verwundbarsten sind.
Und der Captain ist zum ersten Mal zu einem Geschäft
bereit.«
Khouri warf Thorn einen raschen Blick zu. »Die
Weltraumgeschütze.«
»Er hat mir zugesagt, ihren Einsatz nicht zu
verhindern.« Sie klopfte weiter gegen das Glas, ohne sich
umzudrehen. »Ein Risiko ist natürlich vorhanden. Wir wissen
nicht genau, wozu diese Geschütze fähig sind. Hauptsache,
sie richten Schaden an. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir
die Pläne der Unterdrücker zumindest verzögern
können.«
»Nein«, sagte Thorn. »Das darf nicht sein. Nicht
jetzt.«
Der Triumvir drehte sich endlich um. »Und wieso bitte
nicht?«
»Weil die Operation Exodus angelaufen ist. Weil wir
bereits die ersten Menschen von Resurgam weggebracht haben.«
»Ein paar tausend«, höhnte Volyova. »Das ist
ja doch wohl kaum der Rede wert?«
»Das wird sich ändern, wenn die Operation offiziell
wird. Darauf haben wir doch immer gebaut.«
»Die Lage könnte sich auch drastisch verschlimmern.
Würden Sie das in Kauf nehmen?«
»Wir hatten einen Plan«, sagte Khouri. »Die
Geschütze waren immer da und konnten eingesetzt werden, wenn wir
sie brauchten. Aber nach allem, was wir erreicht haben, wäre es
sinnlos, die Unterdrücker jetzt zu einer Reaktion zu
provozieren.«
»Sie hat Recht«, sagte Thorn. »Sie müssen
abwarten, Irina. Wenigstens so lange, bis wir hunderttausend Menschen
evakuiert haben. Danach können Sie Ihre kostbaren Geschütze
einsetzen, wenn es denn sein muss.«
»Aber dann ist es zu spät«, sagte sie und wandte
sich wieder dem Fenster zu.
»Das wissen wir nicht«, sagte Thorn.
»Dort«, sagte Volyova leise. »Sehen Sie, was ich
meine?«
»Was?«
»Ganz hinten, zwischen den zwei Gebäuden. Hinter dem
Funkhaus. Sie können es gar nicht verfehlen.«
Thorn trat ans Fenster, Khouri stellte sich neben ihn. »Ich
sehe gar nichts.«
»Ist Ihre Erklärung schon ausgestrahlt worden?«,
fragte Volyova.
Thorn sah auf die Uhr. »Ja… doch. Sie müsste eben
rausgegangen sein, zumindest in Cuvier.«
»Dann ist das die erste Reaktion darauf: ein Feuer. Noch
nicht sehr groß, aber es wird heute Abend sicher nicht das
letzte sein. Die Menschen sind außer sich vor Angst. Das Ding
am Himmel erschreckt sie schon seit Monaten, und nun müssen sie
erfahren, dass sie von der Regierung die ganze Zeit schamlos belogen
wurden. Ich wäre unter diesen Umständen etwas aufgebracht.
Sie etwa nicht?«
»Das hält nicht vor«, sagte Thorn. »Glauben
Sie mir, ich kenne die Menschen. Wenn sie erst begriffen haben, dass
es eine Fluchtmöglichkeit gibt, dass sie nur vernünftig zu
sein haben und meinen Anweisungen zu folgen brauchen, wird wieder
Ruhe einkehren.«
Volyova lächelte. »Entweder sind Sie
außergewöhnlich fähig, Thorn, oder Sie verstehen
nicht viel von der menschlichen Natur. Ich kann nur hoffen, dass
Ersteres zutrifft.«
»Kümmern Sie sich um Ihre Maschinen, Irina, und ich
kümmere mich um die Menschen.«
»Lasst uns nach oben gehen« sagte Khouri. »Vom
Balkon aus sieht man viel besser.«
Auf den Straßen waren mehr Fahrzeuge unterwegs als sonst in
einer verregneten Nacht. Vor dem Gebäude waren Polizeiautos
aufgefahren, Scharen von schwer gepanzerten Einsatzkräften mit
Schilden und elektrischen Stachelstöcken drängten in die
Mannschaftskabinen. Ein Wagen nach dem anderen setzte sich in
Bewegung, um die Polizisten an die Brennpunkte des Geschehens zu
bringen. Andere Fahrzeuge wurden um das Gebäude postiert, in die
Zwischenräume stellte man Metallbarrikaden, in die man schmale
Schlitze geschnitten hatte.
Vom Balkon aus ergab sich ein klareres Bild. Aus der Stadt
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