Die Arche
geliebte
Mission.
Skade stand auf und ging um die reglose Gestalt herum. Ich
hatte mir Hoffnungen gemacht. Es wäre für uns beide die
beste Lösung gewesen. Aber dann war Clavain gefordert, und er
hat gezeigt, wo seine Prioritäten liegen. Du stehst nicht ganz
oben auf seiner Liste. Nach all den Jahren, all den Jahrhunderten
bist du ihm weniger wert als vierzig tote Maschinen. Ich muss
zugeben, das hätte ich nicht gedacht.
Felka schwieg noch immer. Skade wäre am liebsten in ihren
Schädel gesprungen, um sie aus dem Winkel aufzuscheuchen, in dem
sie Trost und Wärme suchte. Bei jedem normalen Synthetiker
hätte sie bis in die ureigensten Geistesräume vordringen
können. Aber Felkas Bewusstsein war anders strukturiert. Skade
konnte zwar an seiner Oberfläche dahingleiten und gelegentlich
einen Blick in die Tiefen werfen, aber mehr auch nicht.
Skade seufzte. Sie wollte Felka wirklich nicht quälen, aber
sie hatte gehofft, sie gegen Clavain aufbringen und damit aus ihrer
Isolation herausholen zu können.
Doch sie war gescheitert.
Sie blieb hinter Felka stehen, schloss die Augen und schickte eine
Serie von Befehlen an das medizinische Aggregat, das sie an ihrem
Rückgrat angebracht hatte. Die Wirkung trat erfreulich prompt
ein. Felka sackte in sich zusammen. Die Kinnlade fiel ihr herunter,
und der Speichel lief ihr aus dem Mund.
Skade hob sie vorsichtig auf und trug sie aus der Kabine.
* * *
Die silbrige Sonne stand am Himmel und glänzte wie eine
blanke Münze durch den grauen Nebel über dem Meer. Skade
befand sich wie schon einmal in einem Körper aus Fleisch und
Blut. Sie stand auf einem flachen Felsen; die Luft war klirrend kalt,
erfüllt von stechendem Ozongeruch und dem salzigen Gestank
verrottenden Seetangs. In der Ferne seufzten eine Million
Kieselsteine verzückt unter dem Anprall einer weiteren
Meereswelle.
Wieder der gleiche Schauplatz. Wurde der Wolf womöglich ein
klein wenig berechenbar?
Skade spähte in den Nebel. Da, höchstens zehn Schritte
entfernt, entdeckte sie eine menschliche Gestalt. Doch diesmal war es
weder Galiana noch der Wolf, sondern ein kleines Kind, das ebenfalls
auf einem flachen Felsen kauerte. Skade hüpfte vorsichtig von
einem Stein zum anderen und tänzelte um die Tümpel und die
scharfkantigen Felsgrate herum. Wieder ganz Mensch zu sein, war
bestürzend und beglückend zugleich. Sie fühlte sich
verwundbarer denn je, verwundbarer als vor jenem Tag, an dem Clavain
sie verletzt hatte. Jetzt war sie sich bewusst, dass sich unter der
Haut nur weiche Muskeln und spröde Knochen verbargen.
Unbesiegbar zu sein, war ein gutes Gefühl. Aber es tat auch gut,
mit allen Poren die Chemie des Universums zu fühlen, mit jedem
Haar auf dem Handrücken das Streicheln des Windes zu
spüren, mit den Fußsohlen die Kanten und Spalten in den
abgeschliffenen Felsen zu ertasten.
Jetzt hatte sie das Kind erreicht. Es war Felka – was sie
nicht überraschte –, aber so wie einst auf dem Mars, als
Clavain sie gerettet hatte.
Felka hockte ähnlich wie in der Kabine mit überkreuzten
Beinen auf dem Boden. Sie trug ein feuchtes, schmutziges,
zerschlissenes Kleid voller Algenflecken, das Arme und Beine frei
ließ. Ihr Haar, lang und schwarz wie bei Skade, hing ihr in
fettigen Strähnen ins Gesicht. Der Nebel bleichte alle Farben
aus, die Szene wirkte wie eine Schwarz-Weiß-Aufnahme.
Felka hob den Kopf, nahm kurz Blickkontakt auf und wandte sich
wieder ihrer Beschäftigung zu. Um sie herum waren winzige Teile
von Meeresschalentieren zu einem ungleichmäßigen Ring
angeordnet: Beine und Scheren, Klauen und Schwanzstücke,
peitschenähnliche Fühler und Bruchstücke von
Rückenpanzern waren mit manischer Präzision aneinander
gereiht und ausgerichtet worden. Die bleichen Fragmente fanden sich
wie zu anatomischen Formeln zusammen. Felka betrachtete stumm die
Figuren, drehte sich gelegentlich herum, ohne aufzustehen, und nahm
sich einen anderen Bereich vor. Dann und wann hob sie ein Teil auf
– eine Gliedmaße mit Gelenk und Barten vielleicht –
und legte es an eine andere Stelle. Ihr Gesicht war völlig
ausdruckslos, sie wirkte nicht wie ein spielendes Kind, eher als
wäre sie in eine Aufgabe vertieft, die ihre gesamte
Aufmerksamkeit erforderte und sie so in Anspruch nahm, dass für
Freude und Vergnügen kein Raum mehr war.
Felka…
Wieder schaute sie auf, ein fragender Blick, und schon war sie
erneut in ihr Spiel versunken.
Abermals brach sich die ferne Brandung. Vor Felka wurde die
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