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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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seinen Kopf übertragen wurde. Sofort war ihm alles
unheimlich vertraut, ein anhaltendes Déjà-vu-Erlebnis.
Er erreichte eine Luftschleuse, die fast zu eng war für seinen
plumpen gepanzerten Raumanzug, und schloss die Luke hinter sich. Die
Schleuse füllte sich mit lautem Zischen, dann öffnete sich
die innere Tür, und er betrat den belüfteten Teil des
Schiffes. Die Finsternis drohte ihn zu überwältigen, doch
dann schaltete sein Helm auf hohe Lichtempfindlichkeit um und legte
Infrarot- und Sonar-Overlays über sein normales Blickfeld.
    [Clavain.]
    Eine Frau aus dem Suchtrupp erwartete ihn. Clavain drehte sich,
bis er in die gleiche Richtung schaute, und verankerte sich an der
Innenwand.
    Was habt ihr gefunden?
    [Nicht viel. Sie sind alle tot.]
    Ohne Ausnahme?
    Die Gedanken der Frau drangen so knapp und präzise wie
Gewehrkugeln in seinen Kopf ein. [Noch nicht lange. Keine
Verletzungen. Offenbar Freitod.]
    Und kein einzelner Überlebender irgendwo? Wir glaubten,
wenigstens einen ausgemacht zu haben.
    [Keine Überlebenden, Clavain.] Sie bot ihm eine
Verbindung zu ihren Erinnerungen an, und er akzeptierte.
    Er hatte sich für den Anblick gewappnet, und es kam genauso
schlimm, wie er befürchtet hatte. Er betrat den Schauplatz eines
grausigen Massenselbstmords. Nichts wies auf einen Kampf hin, niemand
hatte die Besatzung unter Druck gesetzt, die Leute schienen nicht
einmal gezögert zu haben. Jeder war auf seinem Posten gestorben,
als wäre jemand durch das ganze Schiff gegangen und hätte
die Todespillen verteilt. Oder, die Vorstellung war noch schlimmer,
als hätten sich alle irgendwo im Zentrum versammelt und die
Tabletten entgegengenommen, und dann wäre jeder an seinen Platz
zurückgekehrt. Vielleicht hatten sie ihren Dienst sogar so lange
weiter versehen, bis die Schiffsführerin den Todesbefehl
gab.
    Bei Schwerelosigkeit hing der Kopf eines Toten nicht kraftlos
herab. Nicht einmal der Mund stand offen. Die Haltung wirkte mehr
oder weniger lebensecht, ob die Leiche nun von Netzen gehalten wurde
oder frei von Wand zu Wand schwebte. Es war eine der ersten und
erschreckendsten Lektionen jedes Weltraumkrieges, dass es im All oft
gar nicht so einfach war, die Toten von den Lebenden zu
unterscheiden.
    Alle Besatzungsmitglieder waren so abgemagert, als hätten sie
schon seit Monaten von Notrationen gelebt. Einige hatten Ekzeme oder
blutunterlaufene Narben von alten, schlecht verheilten Verletzungen.
Vielleicht waren einige schon früher gestorben, und man hatte
sie ins All gestoßen, um die Masse zu verringern und Treibstoff
zu sparen. Unter Dienstmützen und Kopfhörern wuchsen nur
dünne graue Stoppeln. Alle waren uniformiert, aber die Abzeichen
verrieten nicht den militärischen Rang, sondern lediglich den
Grad der Spezialisierung. Im kalten Schein der Notbeleuchtung wirkten
die Gesichter einheitlich grau-grün.
    Mit seinen eigenen Augen sah Clavain nun eine Leiche in sein
Blickfeld schweben. Der Mann schien durch die Luft zu kraulen. Sein
Mund war kaum geöffnet, die Augen hielt er starr auf einen Punkt
mehrere Meter vor sich gerichtet. Dann stieß er gegen eine
Wand, und Clavain spürte, wie sich die Schwingungen bis zu ihm
fortpflanzten.
    Er schickte eine Bitte in den Kopf der Frau: Könntest du
die Leiche irgendwo festmachen?
    Sie gehorchte. Clavain befahl allen Mitgliedern des Suchtrupps,
sich zu verankern und ganz still zu verhalten. Da keine weiteren
Leichen umherschwebten, hätte es nun kein Objekt mehr geben
dürfen, dessen Bewegung sich auf das Schiff übertrug.
Clavain wartete auf neue Informationen von der Nachtschatten, die das Feindschiff noch immer mit ihren Laserinstrumenten
abtastete.
    Zunächst traute er seinen Augen nicht.
    Es war unglaublich, aber irgendetwas geisterte noch immer durch
das feindliche Schiff.
    * * *
    »Kleine Miss?«
    Antoinette kannte diesen Tonfall nur zu gut, das klang nicht nach
einer Freudenbotschaft. In ihre Beschleunigungsliege gepresst,
würgte sie eine Antwort heraus, die für jeden anderen
unverständlich gewesen wäre.
    »Es gibt Probleme, wie?«
    »Bedauerlicherweise ja, Kleine Miss. Man kann nicht sicher
sein, aber es scheint eine Störung im Fusionstriebwerk
vorzuliegen.«
    Biest legte eine Schemazeichnung auf das Brückenfenster.
Dahinter brodelten die Wolkenschichten, durch die sich die Sturmvogel wieder ins All empor kämpfte. Einzelne Teile
des Fusionsmotors pulsierten in bedrohlich grellem Rot.
    »Heilige Scheiße, der Tokamak, wie?«
    »Sieht ganz danach

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