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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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winziger Kratzer, aber für die Bedürfnisse
des Sängers genügte er. Er wurde auseinander gezogen wie
eine Schlinge aus geschmolzenem Zucker und mit der gleichen
Vakuumphasen-Energie aufgeblasen, auf die der Sänger bei Bedarf
immer zugriff. Wenn der String makroskopische Dimensionen und eine
makroskopische Energiedichte erreicht hatte, wurde er geschickt zu
einer Achterschlinge verknotet und angerissen, so dass ein schmaler
Kegel aus pulsierenden Gravitationswellen entstand.
    Die Schwingungsamplituden wurden langsam aber unaufhaltsam
größer. Zugleich formte der Sänger die Muster mit
präzisen, eleganten Gravitationsstößen. Er ließ
neue Vibrationsmoden entstehen, verstärkte einen Typ und
unterdrückte einen anderen. Durch die Rotation des Sterns war
bereits jegliche sphärische Symmetrie in den ursprünglichen
Schwingungsmoden zerstört worden, aber bisher waren sie
wenigstens in Bezug auf die Rotationsachse des Sterns noch
symmetrisch gewesen. Nun führte der Sänger noch
stärkere Asymmetrien ein und konzentrierte sich dabei auf einen
bestimmten Punkt am Äquator, der genau zwischen ihm und dem
Massenzentrum lag. Der geschlossene kosmische String oszillierte
stärker, die Schwingungen wurden kraftvoller und schärfer.
Unmittelbar unter dem Sänger wurden auf der
Außenhülle des Sterns Massenströme
zusammengedrängt und reflektiert, der
Oberflächenwasserstoff heizte sich auf und verdichtete sich bis
an die Fusionsgrenze. Tatsächlich kam es in drei oder vier
konzentrischen Ringen stellarer Materie zu explosiven
Fusionszuständen, die aber weiter keine Auswirkungen hatten. Was
zählte und was der Sänger beabsichtigte, war dagegen, dass
die sphärische Hülle des Sternes Falten warf und sich
verformte. In der glühend heißen Oberfläche entstand
so etwas wie ein Nabel, ein Grübchen, groß genug, um eine
ganze Felsenwelt zu verschlingen. Blendend helle Fusionsringe
breiteten sich um dieses Grübchen herum konzentrisch aus und
jagten Röntgenstrahlen und Neutrinos ins All. Der Sänger
fuhr fort, den Stern mit zeitlich exakt berechneten
Gravitationsimpulsen zu beschießen. Das Grübchen wurde
tiefer, als drücke ein unsichtbarer Finger gegen die flexible
Haut eines Ballons. Ringsum wölbte sich der Stern weiter auf.
Die Materie musste sich neu verteilen, denn der Sänger trieb
sein Loch bis tief ins Innere vor.
    Und er würde nicht aufhören, bis er den Kern
erreichte, den Ort des nuklearen Brennens.
    * * *
    Der Flug vom Orbit um Resurgam zur Sehnsucht nach Unendlichkeit dauerte fünfzehn Stunden, und Khouri durchlebte jede Minute
davon in angstvoller Erwartung. Nicht nur die fremdartigen, tief
beunruhigenden Vorgänge um Delta Pavonis erschreckten sie,
obwohl sie sicherlich eine wesentliche Rolle spielten. Die
Unterdrücker-Waffe hatte ihr Werk begonnen. Eine große
Trompete mit weiter Mündung hatte sich auf die Sonne gerichtet,
und alsbald war auf der Oberfläche ein glühend rotes Auge
entstanden, das sich in Vergrößerung als Fusionszone
entpuppte, genauer gesagt, als mehrere Fusionszonen, die ein
ständig tiefer werdendes Loch in der Sternenhülle umgaben.
Das Auge befand sich auf der Seite, die Resurgam zugewandt war, und
das war vermutlich kein Zufall. Was immer diese neue Waffe auch tat,
sie tat es mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Da es so lange gedauert
hatte, bis sie einsatzbereit war, hatte Khouri fälschlicherweise
angenommen, die Zerstörung von Delta Pavonis würde ebenso
gemächlich vor sich gehen. Doch dies war eindeutig nicht der
Fall. Ein besserer Vergleich wären die umfangreichen
Vorbereitungen zu einer Hinrichtung gewesen, all die vielen
juristischen Hürden und Verzögerungen, die
schließlich in einer einzigen Gewehrsalve oder einem
tödlicher Stromstoß gipfelten. So würde es auch dem
Stern ergehen: nach dem langen, getragenen Vorspiel eine
blitzschnelle Exekution.
    Und sie hatten noch immer nicht mehr als zweitausend Menschen
evakuiert – nicht einmal so viele, denn sie hatten zwar
zweitausend Menschen von Resurgams Oberfläche abgeholt, aber
bisher hatte noch keiner von ihnen die Sehnsucht nach
Unendlichkeit zu Gesicht bekommen oder ahnte auch nur, was ihn
erwartete, wenn er an Bord ging. Khouri hoffte nur, dass man ihr die
Nervosität nicht anmerkte. Die Passagiere waren ohnehin
verstört genug.
    Das Problem war nicht nur, dass das Transfer-Shuttle auf
wesentlich weniger Fahrgäste ausgelegt war, so dass die
zweitausend in drangvoller Enge wie in einem

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