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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Gefängnis
zusammengepfercht waren und die Lebenserhaltungssysteme bis an die
Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten mussten, um für
ausreichend Luft, Wasser und Kühlung zu sorgen. Die Menschen
hatten sich auf ein unberechenbares Wagnis eingelassen und auf
Kräfte gesetzt, über die sie keinerlei Kontrolle hatten.
Was sie zusammenhielt, war Thorn, und auch Thorn war mit den Nerven
fast am Ende. Ständig brachen Streitigkeiten und kleinere Krisen
aus, und er war immer zur Stelle, um zu beruhigen und aufzumuntern.
Wenn sich die Aufregung gelegt hatte, eilte er sofort weiter. Sein
Charisma wurde aufs Äußerste strapaziert. Er hatte nicht
nur auf dem ganzen Flug kein Auge zugetan, sondern auch den Tag vor
dem Start des letzten Fährenflugs und die sechs Stunden
durchwacht, die sie brauchten, um die fünfhundert
Neuankömmlinge noch irgendwo unterzubringen.
    Es ging zu langsam; Khouri sah es deutlich. Um die Evakuierung
abzuschließen, wären noch neunundneunzig solcher
Flüge erforderlich, neunundneunzig Gelegenheiten, bei denen das
Chaos ausbrechen konnte. Vielleicht würde es einfacher, wenn
sich erst auf Resurgam herumspräche, dass am Ende des Fluges
keine teuflische Falle der Regierung, sondern ein Raumschiff wartete.
Wenn andererseits bekannt würde, was es mit diesem Raumschiff
auf sich hatte, könnte alles noch sehr viel schwieriger werden.
Und alles deutete darauf hin, dass die Alien-Waffe den Prozess, den
sie auf Delta Pavonis in Gang gesetzt hatte, bald vollenden
würde. Dann würden alle anderen Probleme zur
Bedeutungslosigkeit verblassen.
    Immerhin war wenigstens dieser erste Flug so gut wie
geschafft.
    Das Transfer-Shuttle war nicht für den Betrieb in einer
Atmosphäre ausgerüstet. Es war eine schmucklose Kugel mit
einem Bündel Triebwerken an einem und einem Grübchen von
einem Flugdeck am anderen Ende. Die ersten fünfhundert
Fahrgäste hatten viele Tage an Bord verbracht und jeden
schmutzigen Winkel des nüchternen Interieurs erkundet. Aber
wenigstens hatten sie genügend Platz gehabt. Beim nächsten
Schub wurde es schon etwas enger. Lebensmittel und Wasser mussten
rationiert werden, und jeder Passagier bekam ein eigenes
Plätzchen zugewiesen. Doch auch das war noch erträglich.
Die Kinder konnten nach wie vor herumlaufen und allen lästig
fallen, und die Erwachsenen konnten sich für ein Weilchen
zurückziehen, wenn sie das Bedürfnis danach hatten. Mit der
dritten Schiffsladung – abermals fünfhundert Menschen
– hatte sich die Atmosphäre auf dem Schiff kaum merklich
zum Schlechteren verändert. Anstelle höflicher Empfehlungen
gab es nun strenge Vorschriften. Man errichtete fast so etwas wie
einen kleinen Polizeistaat und stellte für die verschiedenen
Vergehen einen drastischen Strafenkatalog auf. Bislang war es erst zu
wenigen leichten Verstößen gegen die drakonischen neuen
Gesetze gekommen, aber Khouri bezweifelte sehr, dass alle Flüge
so glatt verlaufen würden. Früher oder später
würde sie vermutlich zum Wohle aller ein Exempel statuieren
müssen.
    Die letzten fünfhundert hatten ihnen das größte
Kopfzerbrechen bereitet. Für sie noch Platz zu finden, glich
einem kniffligen Puzzle: so viele Kombinationen sie auch
ausprobierten, stets warteten auf der Fähre noch fünfzig
Menschen, die das hässliche Gefühl hatten,
überzählig zu sein, eine zusätzliche Belastung, ohne
die alles sehr viel leichter zu bewältigen wäre.
    Dennoch waren irgendwann alle an Bord gewesen. Zumindest das
würde beim nächsten Mal einfacher zu regeln sein. Man
musste allerdings womöglich noch strenger auf Disziplin achten
und durfte den Menschen auf dem Transfer-Shuttle keinerlei Rechte
mehr zugestehen.
    Dreizehn Stunden nach dem Start herrschte Ruhe auf dem Schiff.
Alle waren erschöpft. Khouri traf sich mit Thorn an einem
Sichtfenster, wo sie knapp außer Hörweite der
nächsten Passagiere waren. Im aschgrauen Licht war sein Gesicht
von maskenhafter Starre. Er wirkte niedergeschlagen, ausgelaugt,
nicht mehr fähig, sich über das Erreichte ein wenig zu
freuen.
    »Wir haben es geschafft«, sagte sie. »Wie es auch
weitergeht, wir haben zweitausend Menschenleben gerettet.«
    »Wirklich?«, fragte er leise.
    »Sie werden nicht nach Resurgam zurückkehren,
Thorn.«
    Sie unterhielten sich wie zwei Geschäftspartner und vermieden
jeden Körperkontakt. Thorn war immer noch ›Gast‹ der
Regierung, es durfte nicht der Verdacht aufkommen, er verfolge mit
seiner Kooperation persönliche Interessen. Sie

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