Die Arche
und wer immer die endlosen Berechnungen
steuerte, würde diesen Aufwand nicht unbedingt noch einmal
genehmigen. Thorn hatte gut reden; er hatte es nicht erlebt.
»Thorn…«, begann sie.
Doch in diesem Augenblick zuckten rosa und bläuliche Lichter
über eine Hälfte seines Gesichts.
Khouri runzelte die Stirn. »Was war das?«
Thorn schaute wieder ins All hinaus. »Lichter. Blinkende
Lichter, wie Wetterleuchten in der Ferne. Ich sehe sie jedes Mal,
wenn ich an einem Sichtfenster vorüber komme. Sie scheinen nahe
der ekliptischen Ebene zu liegen, in derselben Himmelshälfte wie
die Unterdrücker-Maschine. Als wir den Orbit verließen,
waren sie noch nicht da. Was immer dort vorgeht, hat in den letzten
zwölf Stunden begonnen. Ich glaube nicht, dass es direkt mit der
Waffe der Unterdrücker zu tun hat.«
»Dann müssen es unsere Geschütze sein«, sagte
Khouri. »Ilia hat sie offenbar bereits zum Einsatz
gebracht.«
»Wollte sie uns nicht eine Gnadenfrist
einräumen?«
Er hatte Recht; Ilia Volyova hatte versprochen, in den
nächsten dreißig Tagen keines der Weltraumgeschütze
abzusetzen und dann ihre Entscheidung vom Erfolg der
Evakuierungsoperation abhängig zu machen.
»Es muss etwas geschehen sein«, sagte Khouri.
»Oder sie hat gelogen«, sagte Thorn leise. Wieder griff
er im Schutz der Schatten nach ihrer Hand und zeichnete mit einem
Finger eine Linie von ihrem Handgelenk bis zur Hautfalte zwischen
Mittel- und Zeigefinger.
»Nein. Sie würde mich nicht belügen. Es ist etwas
geschehen, Thorn. Und deshalb wurden die Pläne
geändert.«
* * *
Zwei Stunden später löste sie sich aus der Dunkelheit.
Khouri und Thorn konnten nicht verhindern, dass einige Insassen des
Transfer-Shuttles die Sehnsucht nach Unendlichkeit von
außen sahen, sie konnten nur abwarten und hoffen, dass die
Reaktion nicht allzu extrem ausfiele. Khouri hatte Schutzschirme
über die Sichtfenster ziehen wollen – das Schiff war zu
alt, als dass man die Fenster einfach im Rumpf hätte
verschwinden lassen können –, aber Thorn hatte ihr
abgeraten. Es wäre besser, nicht den Eindruck zu erwecken, als
wäre der Anblick in irgendeiner Weise absonderlich oder
beunruhigend.
»Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie du denkst«,
flüsterte er. »Du weißt, wie ein Lichtschiff aussehen
sollte und findest es beängstigend, weil die Transformationen
des Captains es in ein Monstrum verwandelt haben. Aber die meisten
Menschen, die wir befördern, wurden auf Resurgam geboren und
haben niemals ein Raumschiff gesehen, nicht einmal auf Bildern. Sie
machen sich nur vage Vorstellungen auf der Grundlage der alten
Aufzeichnungen und der Weltraumopern, mit denen sie vom Funkhaus
gefüttert werden. Die Sehnsucht nach Unendlichkeit mag
ihnen etwas… ungewöhnlich… erscheinen, aber daraus
werden sie nicht zwangsläufig schließen, dass sie ein
Seuchenschiff ist.«
»Und wenn sie an Bord gehen?«, fragte Khouri.
»Dann könnte die Sache anders aussehen.«
Thorns Einschätzung wurde mehr oder weniger bestätigt.
Die bizarren Wucherungen und architektonischen Schnörkel des
mutierten Schiffsrumpfs mochten Khouri krankhaft erscheinen, aber sie
wusste mehr über die Seuche als irgendjemand auf Resurgam.
Deshalb reagierten relativ wenige Passagiere so verstört, wie
sie erwartet hatte. Die meisten gingen davon aus, die Auswüchse
hätten irgendeine mysteriöse militärische Funktion.
Immerhin war dies das Schiff, von dem sie glaubten, es hätte
eine ganze Kolonie auf ihrem Planeten ausgelöscht. Es war der
Inbegriff des Bösen, aber von seinem Aussehen hatten sie sich
bisher keine festen Vorstellungen gemacht.
»Sie sind erleichtert, dass überhaupt ein Schiff da
ist«, sagte Thorn. »Und die wenigsten kommen überhaupt
in die Nähe eines Sichtfensters. Was sie hören, nehmen sie
mit gesunder Skepsis auf, oder es ist ihnen einfach egal.«
»Wie kann es ihnen egal sein? Sie haben doch ihre ganze
Existenz aufgegeben, um hierher zu kommen!«
»Sie sind müde«, sagte Thorn. »Müde und
apathisch. Sie wollen nur noch von diesem Shuttle herunter.«
Das Transfer-Shuttle flog langsam an der Seite der Unendlichkeit entlang. Khouri hatte den Anflug so oft erlebt,
dass sie nur noch mäßiges Interesse dafür aufbrachte.
Doch jetzt runzelte sie die Stirn.
»Das war vorher nicht da«, sagte sie.
»Was?«
Sie sprach leise und vermied es, mit dem Finger zu deuten.
»Diese… Narbe. Siehst du sie?«
»Das Ding dort? Es ist nicht zu übersehen.«
Eine mehrere
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