Die Arche
Jahren schon zu bedeuten? Vielleicht erinnere ich
mich nur an eine Erinnerung. Ich hoffe, dass es nicht so ist. Aber
hinterher… nachdem ich der Synthese beigetreten
war…
[Ja?]
Da liebten wir uns. Anfangs sogar sehr oft. Den anderen
Synthetikern gefiel das wohl nicht – sie hielten den Liebesakt
für zu animalisch, für einen Rückfall in die
Primitivität der Standardmenschen. Galiana sah das
natürlich anders. Sie war immer die sinnlichere von uns beiden,
sie schwelgte im Reich der Sinne. Ihre Feinde hatten nie so recht
verstanden, dass Galiana die Menschheit aufrichtig liebte – mehr
als sie selbst es taten. Nur deshalb schuf sie die Synthese. Sie
sollte nicht besser sein als die Menschheit, sie war ein Geschenk,
eine Verheißung. Das könnte aus uns Menschen werden, wenn
wir nur realisierten, was in uns steckte. Doch ihre Gegner stellten
sie als eiskaltes Monster dar, das den Menschen nur auf seinen
Verstand zu reduzieren suchte. Was für ein schrecklicher Irrtum.
Für Galiana war die Liebe kein altes darwinistisches Relikt der
Hirnchemie, von dem man den menschlichen Geist befreien
musste. Sie betrachtete die Liebe als ein Samenkorn, das es zu hegen
galt, damit es zu voller Blüte gelangen konnte. Aber das hatten
die anderen nie verstanden. Und die Schwierigkeit war, dass man zur
Synthese gehören musste, um würdigen zu können, was
sie erreicht hatte.
Clavain hielt inne und informierte sich mit einem Blick über
den Stand des Kampfgeschehens. In der letzten Minute hatte es zwei
weitere Tote gegeben, aber seine Truppen kamen dem Schiff des
Triumvirn ständig näher. Ja, in meinen ersten Tagen in
der Synthese liebten wir uns oft. Doch irgendwann war das nicht mehr
nötig, es wurde zu einem nostalgischen Akt, etwas, das man als
Kind getan hatte: nicht falsch, nicht primitiv, nicht einmal
langweilig, nur nicht mehr von Interesse. Wir hatten nicht
aufgehört, uns zu lieben, wir hatten auch das Bedürfnis
nach sinnlicher Erfahrung nicht verloren. Wir hatten nur Wege
gefunden, wie man diese Intimität auf sehr viel lohnendere Weise
erleben konnte. Wenn man erst den Geist eines anderen berührt
hat, durch seine Träume gewandelt ist, die Welt mit seinen Augen
gesehen, mit seiner Haut gespürt hat… nun, wir spürten
einfach kein Verlangen mehr nach der alten Form der Liebe. Und ich
neigte noch nie dazu, die Vergangenheit zu verklären. Wir waren
irgendwie erwachsener geworden und hatten eine Welt betreten, die
voll war mit neuen Freuden und Reizen. Es gab keinen Grund,
wehmütig zurückzuschauen. Uns entging nichts.
Sie antwortete nicht sofort. Das Schiff flog weiter. Wieder
betrachtete Clavain die Anzeigen und Lageberichte. Einen Moment lang,
es war wie ein Abgrund, fürchtete er, zu viel gesagt zu haben.
Doch dann sprach sie, und er wusste, dass sie alles verstanden
hatte.
[Ich glaube, ich muss dir von den Wölfen
erzählen.]
Kapitel 37
Als Volyova ihre Entscheidung getroffen hatte, durchströmten
sie neue Kräfte. Sie war jetzt fähig, sich die
medizinischen Sonden und Schläuche vom Leibe zu reißen und
hemmungslos von sich zu schleudern. Nur die Brille, die ihr das
Augenlicht ersetzte, behielt sie auf. An die abscheulichen Maschinen,
die in ihrem Kopf herumschwammen, versuchte sie einfach nicht zu
denken. Ansonsten fühlte sie sich pudelwohl. Ihr Verstand sagte
ihr, dass das nur Illusion war und sie für diesen Energieschub
später würde teuer bezahlen müssen,
höchstwahrscheinlich mit ihrem Leben. Aber die Aussicht machte
ihr keine Angst, sondern bereitete ihr nur die stille Genugtuung,
dass sie mit der Zeit, die ihr noch blieb, wenigstens etwas
Sinnvolles anfangen konnte. Hier zu liegen und das Geschehen aus der
Ferne zu lenken wie ein bettlägeriger Hohepriester war
schön und gut, aber es entsprach nicht ihrem Naturell. Sie war
Triumvir Ilia Volyova, und sie hatte sich an gewisse Standards zu
halten.
»Ilia…«, begann Khouri, als sie sah, was
vorging.
»Khouri«, verlangte Volyova. Ihre Stimme war immer noch
brüchig, hatte aber endlich wieder eine Spur des alten Feuers.
»Khouri… tu mir bitte einen Gefallen. Stell mir von jetzt
an keine Fragen und versuche nicht, mir etwas auszureden.
Verstanden?«
»Verstanden… denke ich.«
Volyova schnippte mit den Fingern. Der nächste Servomat kam
an den quäkenden Monitoren vorbei an ihr Bett getrippelt.
»Captain… würden Sie dem Servomaten befehlen, mich in
den Raumschiffhangar zu bringen? Ich erwarte, dass dort ein Raumanzug
und
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