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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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allmählich schwinden.
Vielleicht war nie geplant, dass sie mit solcher Brutalität zu
Werke gingen, Felka – hast du auch das bedacht? Vielleicht waren
sie ursprünglich eher Hirten als Jäger? Vielleicht war das
die erste Fehlentwicklung, und sie ist nur so lange her, dass sich
niemand mehr daran erinnert. Die Wölfe hielten sich zwar streng
an die Anweisungen, die sie erhalten hatten, aber sie setzten sie mit
immer weniger Augenmaß und immer mehr Gnadenlosigkeit um. Was
als behutsames Eindämmen begonnen hatte, entartete zum Xenozid.
Was als Autorität begonnen hatte, wurde zu einer Tyrannei mit
dem obersten Ziel, die eigene Macht zu erhalten und zu stärken.
Denk darüber nach, Felka. Sie mögen in höherem Auftrag
handeln, doch deshalb muss ihr Handeln noch nicht richtig
sein.
    [Ich weiß nur, was mir der Wolf gezeigt hat. Nicht ich
habe die Wahl zu treffen, Clavain. Nicht meine Aufgabe ist es, dir
den Weg zu weisen. Ich dachte nur, du solltest Bescheid
wissen.]
    Ich weiß. Und ich bin dir auch nicht böse.
    [Was wirst du nun tun, Clavain?]
    Er dachte an das Gleichgewicht des Schreckens: wog die Aussicht
auf kosmische Kriege – erbitterte Kämpfe, die Jahrtausende
lang die Galaxis erschütterten – und die unendlich
großartigere Aussicht auf kosmische Stille gegeneinander ab.
Welten und Monde zogen ihre Bahnen, ohne dass ihre Tage gezählt,
ihre Phasen erinnert wurden. Sonnen lebten und starben, ohne dass ein
intelligenter Beobachter Zeugnis davon ablegte, loderten bis ans Ende
aller Zeiten durch die geistlose Finsternis, ohne dass ein einziger
bewusster Gedanke die eisige Ruhe zwischen dem Jetzt und der Ewigkeit
störte. Vielleicht schwebten noch Maschinen durch diese
kosmischen Wüsten, um Informationen zu verarbeiten und zu
interpretieren, aber sie waren zu keiner Erkenntnis fähig,
kannten weder Liebe, noch Hass, weder Trauer, noch Schmerz, sie
analysierten nur immer weiter, bis auch das letzte Fünkchen
Energie verbraucht war und ein letzter Algorithmus, zur Hälfte
ausgeführt, im letzten Schaltkreis stecken blieb.
    Dies war natürlich ein hoffnungslos anthropomorphes Bild. Das
ganze Drama betraf nur eine kleine Gruppe von Galaxien. Weiter
draußen – nicht zehn, sondern Millionen von Lichtjahren
entfernt – schwebten andere solche Gruppen durch die Finsternis,
ein, zwei Dutzend Galaxien, zusammengehalten von ihrer gegenseitigen
Anziehungskraft. Unvorstellbar weit entfernt, aber dennoch vorhanden.
Sie schwiegen verstockt – doch daraus folgte nicht
zwangsläufig, dass sie ohne Intelligenz waren. Vielleicht hatten
sie nur den Wert des Schweigens schätzen gelernt. Vielleicht war
die erhabene Geschichte des Lebens in der Milchstraße –
und ihren Nachbargalaxien – nur ein einziger Faden in einem
Gewebe, dessen Größe einen Demut lehrte? Vielleicht
spielte es tatsächlich keine Rolle, was hier geschah? Wenn die
Wölfe blindlings den Anweisungen aus fernster galaktischer
Vergangenheit folgten, mochten sie die Intelligenz restlos ersticken
oder ein Fädchen des Gewebes über die schwerste Krise
hinweg retten. Vielleicht war es im Grunde egal, so bedeutungslos wie
der Untergang einer kleinen Bevölkerung auf einer einsamen Insel
verglichen mit dem wogenden Auf und Ab des Lebens auf einer ganzen
Welt.
    Aber vielleicht war es auch wichtiger als alles andere.
    Clavain erkannte plötzlich mit einer Klarheit, die ihm das
Herz stillstehen ließ: wichtig war nur das Hier und Jetzt.
Wichtig war, zu überleben. Denn eine Intelligenz, die sich
beugte und ihre eigene Ausrottung akzeptierte – auch wenn es um
ferner Ziele, um einer noch so guten Sache willen geschah –, war
keine Intelligenz, an deren Erhaltung ihm gelegen war.
    Und es war keine Intelligenz, der er dienen wollte. Wie bei allen
schweren Entscheidungen, die er jemals getroffen hatte, ging es
letztlich um Fragen von kindlicher Einfachheit: Sollte er die
Geschütze aufgeben und sich in dem Bewusstsein, damit letztlich
seinen Teil zur Rettung intelligenten Lebens beizutragen, zum
Helfershelfer der Ausrottung der Menschheit machen lassen? Oder
sollte er die Geschütze an sich bringen – so viele, wie er
nur konnte –, um damit den Kampf gegen die Tyrannei der
Unterdrücker aufzunehmen?
    Vielleicht war es sinnlos. Vielleicht zögerte er nur das
Unvermeidliche hinaus. Aber selbst wenn dem so wäre, was
schadete es, wenn er es versuchte?
    [Clavain…]
    Eine große, brennende Ruhe überkam ihn. Jetzt war alles
klar. Er wollte Felka sagen, er habe sich

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