Die Arche
durch das Glas.
Dahinter war alles schwarz, im Vordergrund schwebte sein eigenes
Spiegelbild wie ein Gespenst, das keine Augen hatte. In den leeren
Höhlen saßen schwarze Schatten, genau so schwarz wie das
Vakuum im Hintergrund. Jäh überkam ihn ein
Déjà-vu-Gefühl, als hätte er schon einmal
hier gestanden und sein eigenes maskenstarres Gesicht betrachtet. Er
zupfte und zerrte, bis er die Erinnerung zu fassen bekam. Es war auf
einer wichtigen diplomatischen Mission gewesen. Sein Shuttle
stürzte auf den besetzten Mars zu, wo ihn eine Begegnung mit
einer alten Feindin und Freundin namens Galiana erwartete… und
er erinnerte sich, dass er sich schon damals, vor vierhundert Jahren
– inzwischen vermutlich noch mehr – zu alt gefühlt
hatte für die Welt und für die Rolle, die sie ihm aufzwang.
Hätte er gewusst, was vor ihm lag, er hätte entweder
gelacht oder den Verstand verloren. Er hatte geglaubt, sein Leben sei
schon zu Ende, dabei hatte es noch gar nicht richtig angefangen, und
jetzt in der Erinnerung war jene Zeit kaum von seiner Kindheit zu
trennen.
Er schaute zurück zu den Leuten, die ihn geweckt hatten, und
blickte dann zur Decke empor.
»Dämpft das Licht«, sagte jemand.
Das Spiegelbild verschwand. Jetzt sah er nicht mehr nur
Finsternis, sondern einen Sternenschwarm, der sich in einer
Himmelshemisphäre zusammendrängte. Rote und blaue, goldene
und eisig weiße Sterne. Einige waren heller als die anderen,
aber bekannte Sternbilder fand er nicht. Doch die Sternendichte,
diese Häufung in einem Teil des Himmels konnte nur eines
bedeuten. Sie bewegten sich immer noch relativistisch, nahe an der
Lichtgeschwindigkeit.
Clavain wandte sich der kleinen Gruppe zu. »Ist die Schlacht
vorüber?«
Eine blasse schwarzhaarige Frau ergriff das Wort. »Ja,
Clavain.« Ihre Stimme klang freundlich, ließ aber die
absolute Sicherheit vermissen, die Clavain erwartet hätte.
»Ja, sie ist vorüber. Wir haben die drei
Synthetiker-Schiffe angegriffen. Eines wurde zerstört und die
beiden anderen sind schwer beschädigt.«
»Nur beschädigt?«
»Die Simulationen waren der Aufgabe nicht ganz
gewachsen«, sagte die Frau. Sie trat näher und hielt
Clavain einen Becher mit einer braunen Flüssigkeit unter die
Nase. Er betrachtete ihr Gesicht, ihr Haar. Die Frisur kam ihm
irgendwie bekannt vor und weckte die gleichen alten Erinnerungen wie
sein Spiegelbild im Sichtfenster. »Hier, trink das.
Nanomaschinen zur Stärkung, aus Ilias Giftschrank. Sie werden
dir gut tun.«
Clavain nahm den Becher entgegen und schnupperte daran. Er hatte
Tee erwartet, aber es roch nach Schokolade. Er nahm einen Schluck.
»Danke«, sagte er. »Darf ich fragen, wie du
heißt?«
»Gewiss doch«, sagte die Frau. »Ich bin Felka. Du
kennst mich sehr gut.«
Er sah sie an und zuckte die Achseln. »Irgendwie bist du mir
vertraut…«
»Trink aus! Ich glaube, du hast es nötig.«
* * *
Sein Gedächtnis kehrte in Schüben zurück wie die
Elektrizität in einer Stadt nach einem Stromausfall. Eine
Straße nach der anderen ging stotternd und flackernd wieder ans
Netz, bis der normale Betrieb wiederaufgenommen werden konnte. Auch
als er schon glaubte, er wäre wieder der Alte, verabreichte man
ihm immer neue sorgfältig bemessene Dosen von speziellen
Nanomaschinen für besondere Hirnfunktionen. Clavain schnitt
jedes Mal eine Grimasse und schluckte das Zeug nur widerwillig.
Irgendwann wollte er bis an sein Lebensende keinen Fingerhut voll
Schokolade mehr sehen.
Nach mehreren Stunden erklärte man ihn für neurologisch
stabil. Zwar gab es noch Dinge, an die er sich nicht genau erinnern
konnte, aber es hieß, das halte sich innerhalb der
üblichen Toleranzen einer normalen Kälteschlaf-Amnesie und
sei kein Hinweis auf ungewöhnliche Ausfälle. Man gab ihm
ein leichtes Biomonitor-Aggregat, wies ihm einen spindeldürren
Bronze-Servomaten als Begleiter zu und erlaubte ihm, sich nach
Belieben frei zu bewegen.
»Sollte ich nicht fragen, warum ihr mich geweckt habt?«,
meinte er.
»Das hat noch Zeit«, antwortete Scorpio, der offenbar
das Kommando führte. »Es besteht keine unmittelbare Gefahr,
Clavain.«
»Aber ich gehe doch davon aus, dass eine Entscheidung
getroffen werden muss.«
Scorpio warf einem der anderen Anführer, einer Frau namens
Antoinette Bax, einen Blick zu. Sie hatte große Augen und
Sommersprossen auf der Nase, und Clavain ahnte, dass er Erinnerungen
an sie hatte, zu denen er erst noch vorstoßen musste. Sie
nickte Scorpio kaum
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