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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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wurde sie den Verdacht nie ganz los, sie von
Anfang an unbewusst mit eingebaut zu haben. Die Mäuse waren ein
neuer Ansatz. Sie hatte das Digitale verworfen und sich dem Analogen
zugewandt.
    Die erste Maschine, die sie gebaut hatte, war mit Wasser gelaufen.
Inspiriert hatten sie Teile eines Prototyps, den sie im
Cybernetikarchiv des Mutternests gefunden hatte. Jahrhunderte zuvor,
lange vor dem Transrationalismus, hatte jemand einen Analogcomputer
gebaut, der den Geldfluss innerhalb einer Wirtschaft modellieren
sollte. Die Anlage bestand nur aus gläsernen Retorten, Ventilen
und präzise ausgewogenen Wippen. Mit farbigen Flüssigkeiten
wurden Unterschiede im Marktdruck und diverse Finanzparameter wie
Zinssätze, Inflation und Handelsbilanzdefizit dargestellt. Das
System berechnete gluckernd und schmatzend mit der Energie der
angewandten Strömungsmechanik Lösungen der schwierigsten
Integralgleichungen.
    Von der Idee entzückt, hatte sie den Prototyp nachgebaut und
durch verschiedene ausgeklügelte Verbesserungen ergänzt.
Leider hatte die Anlage zwar eine Weile für Unterhaltung
gesorgt, aber immer nur kurz einmal Ansätze emergenten
Verhaltens gezeigt. Sie war zu unerbittlich deterministisch, um echte
Überraschungen zu produzieren.
    So war sie auf die Mäuse verfallen, zufallsgesteuerte
Agenten, Chaos auf vier Beinen, und hatte die neue Anlage konzipiert,
um diese Eigenschaft auszubeuten. Die Tiere sollten mit ihrem
unberechenbaren Getrippel das System von einem Zustand in den anderen
überführen. Durch die komplizierte Konstruktion aus Hebeln
und Schaltern, Falltüren und Verzweigungen wurde sichergestellt,
dass sich das Labyrinth unentwegt veränderte und so durch den
Phasenraum bewegte – jenen sinnverwirrend abstrakten,
hochdimensionalen mathematischen Raum, der alle möglichen
Konfigurationen einschloss. Der Phasenraum war mit Attraktoren
besetzt wie ein Stück Raumzeit mit Planeten und Sternen. Bewegte
sich das Labyrinth auf einen solchen Attraktor zu, dann ging es oft
in eine Art Umlaufbahn und oszillierte um einen Zustand, bis
irgendetwas, eine sich aufbauende Instabilität oder ein
Anstoß von außen, es anderswohin torkeln ließ.
Normalerweise genügte es schon, eine neue Maus in das Labyrinth
einzusetzen.
    Gelegentlich bewegte sich das Labyrinth auf einen Attraktor zu,
der bewirkte, dass die Mäuse mit mehr als der üblichen
Futtermenge belohnt wurden. Dann wartete Felka gespannt ab, ob die
Mäuse – die ja blindlings agierten und nicht fähig
waren, bewusst miteinander zu kooperieren – dennoch einen Weg
fänden, das Labyrinth gezielt in die Nähe eines solchen
Attraktors zu steuern. Denn dies wäre ein sicheres Anzeichen
für Emergenz gewesen.
    Ein einziges Mal war es tatsächlich dazu gekommen. Aber die
Mäusegruppe hatte den Trick nicht wiederholt. Als Felka weitere
Mäuse einsetzte, hatten sie das Labyrinth nur verstopft und in
der Nähe eines anderen Attraktors gebracht, wo weiter nichts
Aufregendes passierte.
    Noch hatte sie das Interesse nicht vollends verloren. Noch gab es
Feinheiten, die sie nicht ganz durchschaute, und das hielt die
Langeweile in Schach. Doch schon regten sich die ersten Ängste,
und sie war ganz sicher, dass das Labyrinth sie nicht mehr allzu
lange würde fesseln können.
    Hinter dem Glas schnarrte und klapperte es wie eine alte Standuhr
vor dem Stundenschlag. Türchen öffneten und schlossen sich
mit leisem Klicken. Einzelheiten waren schwer zu erkennen, aber der
Strom der Mäuse verriet, wie sich die Geometrie
veränderte.
    »Felka?«
    Ein Mann zwängte sich durch den Verbindungsgang, schwebte in
den Raum und fing sich mit den Fingerspitzen an einer blanken Wand
ab. Sie konnte sein Gesicht nur undeutlich erkennen. Der kahle
Schädel hatte nicht ganz die richtige Form. Im Halbdunkel wirkte
er noch seltsamer, wie ein längliches graues Ei. Sie starrte ihn
an. Eigentlich hätte sie jederzeit fähig sein müssen,
dieses Gesicht mit Remontoire in Verbindung zu bringen. Wären
allerdings sechs oder sieben Männer in etwa dem gleichen
physiologischen Alter und mit den gleichen kindlichen oder unreifen
Zügen auf einmal in den Raum gekommen, sie hätte Remontoire
nicht herausgefunden. Nur die Tatsache, dass er sie erst vor kurzem
besucht hatte, gab ihr die Gewissheit, dass er es war.
    »Hallo, Remontoire.«
    »Könnten wir bitte etwas Licht haben? Oder wollen wir
uns drüben unterhalten?«
    »Ich bleibe lieber hier. Ich bin mitten in einem
Experiment.«
    Er warf einen Blick auf

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