Die Arche
ersten Blick aus wie ein kompliziertes
hölzernes Wasserleitungssystem, ein Labyrinth von Rohren,
Kanälen, Dichtungen, Ventilen und Pumpen. Verschiedene
Abschnitte des Irrgartens wurden von schrägen und
gekrümmten Elementen überbrückt, deren Zweck nicht
unmittelbar ersichtlich war.
Alle Rohre und Kanäle hatten nur drei Seiten, die vierte
Seite bildete die Glaswand, so dass alles, was im Innern floss oder
tröpfelte, von außen zu beobachten war.
Felka hatte bereits ein Dutzend Mäuse durch Einwegklappen am
Rand der Glaswand in das Labyrinth eingesetzt. An den ersten
Knotenpunkten waren die Tiere rasch verschiedene Wege gegangen. Nun
durchschnüffelten sie Bereiche, die mehrere Meter auseinander
lagen. Die Schwerelosigkeit war für die Mäuse kein Problem.
Das Holz bot ihnen so viel Bodenhaftung, dass sie problemlos in jede
Richtung laufen konnten. Einige lernten mit der Zeit sogar, die
Fläche, mit der sie Holz oder Glas berührten, so zu
verringern, dass sie durch die Rohre rutschen konnten. Meist kamen
sie auf diesen Trick allerdings erst nach einigen Stunden und
mehreren Belohnungszyklen.
Felka holte einen der Käfige an ihrer Taille heran,
öffnete die Klappe und schüttete den Inhalt – drei
weiße Mäuse – in das Labyrinth. Sie waren sichtlich
begeistert, dem Metallgefängnis entronnen zu sein, und rannten
sofort los.
Felka wartete. Früher oder später würde eins von
den Tierchen gegen eine Falltür oder eine Klappe rennen, die mit
einem empfindlichen Mechanismus aus hölzernen Hebeln und
Federzügen verbunden war. Die Hebel lösten aus, sobald sich
die Maus durch die Klappe zwängte. Oft setzte sich die Wirkung
durch das ganze Labyrinth fort, und ein paar Meter vom Ausgangspunkt
entfernt öffnete oder schloss sich eine andere Tür. Dann
konnte eine Maus in einem weit entfernten Labyrinthabschnitt
plötzlich vor einem Hindernis stehen, wo sie bisher freie Bahn
gehabt hatte. Oder sie sah sich gezwungen, eine Entscheidung zu
treffen, die bisher nicht erforderlich gewesen war und ihr winziges
Nagerhirn in Verwirrung stürzte. Die Wahrscheinlichkeit, dass
die Entscheidung der zweiten Maus ein weiteres Hebelsystem
auslöste und damit in einem anderen Teil des Labyrinths abermals
die Konfiguration veränderte, war sehr hoch. Felka schwebte in
der Mitte des Raums und beobachtete die endlosen Permutationen, ein
blindes Programm, das von den Mäusen selbst geschrieben wurde.
In gewisser Hinsicht war es ein faszinierendes Schauspiel.
Felka wurde es jedoch bald langweilig. Das Labyrinth war für
sie nur der Anfang. Gewöhnlich ließ sie die Mäuse im
Halbdunkel, nur im Schein der UV-Lampe laufen. Die Tiere waren
gentechnisch so verändert, dass sie Proteine besaßen, die
sie in ultraviolettem Licht fluoreszieren ließen. Noch
beobachtete Felka die violett schimmernden Flecken hinter dem Glas
mit einer gewissen Spannung, aber ihr Eifer ließ bereits
spürbar nach.
Das Labyrinth war ihre eigene Erfindung. Sie hatte es nicht nur
selbst entworfen, sondern auch die Holzmechanik eigenhändig
hergestellt. Sie hatte sogar die genetischen Veränderungen
vorgenommen, die die Mäuse zum Leuchten brachten, was
allerdings, verglichen mit dem mühsamen Gefummel, bis alle
Klappen und Hebel richtig funktionierten, ein Kinderspiel gewesen
war. Danach hatte sie eine Weile geglaubt, die Mühe hätte
sich gelohnt.
Eines der wenigen Phänomene, die Felka noch fesseln konnten,
war die Emergenz. Auf Diadem, der ersten Welt, die sie nach dem Start
vom Mars mit dem allerersten nahe Lichtgeschwindigkeit fliegenden
Schiff besuchten, hatte sie zusammen mit Clavain und Galiana einen
riesigen kristallinen Organismus studiert, der Jahre brauchte, um so
etwas wie einen einzigen ›Gedanken‹ zum Ausdruck zu
bringen. Seine synaptischen Boten waren schwarze Würmer ohne
eigene Intelligenz, die sich in diesem alterslosen Gletscher durch
ein in ständiger Bewegung befindliches neuronales Netz von
eisigen Kapillarkanälen bohrten.
Sie hatte Clavain und Galiana nie ganz verziehen, dass sie sie
gewaltsam weggeholt hatten, bevor sie den Diadem-Gletscher
eingehender erforschen konnte. Seither zogen sie alle Systeme, die
aus einfachen Elementen auf unberechenbare Weise komplexe Strukturen
entstehen ließen, wie magisch an. Sie hatte zahllose
Software-Simulationen programmiert, ohne jemals überzeugt zu
sein, sie hätte damit den Kern des Problems wirklich erfasst.
Wenn aus ihren Systemen Komplexität entstand – was oft
geschehen war –,
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