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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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mehr an die sterile weiße Zelle zu denken,
um nicht akzeptieren zu müssen, was sie darin erfahren
hatte.
    Die Experimente waren der logische Abschluss der Arbeiten gewesen,
die Galiana ganz zu Anfang in den Mars-Laboratorien begonnen hatte.
Ihr Ziel war, das menschliche Gehirn weiterzuentwickeln, und sie war
fest davon überzeugt, mit dem Projekt nur dem Wohl der
Menschheit zu dienen. Zum Vorbild hatte sie sich die Evolution des
Digitalcomputers gewählt, die ebenfalls mit einfachen, langsamen
Geräten begonnen hatte. Folglich hatte sie zunächst die
Rechenleistung und die Geschwindigkeit des menschlichen Gehirns
gesteigert. So wie die frühen Computeringenieure das Uhrwerk
durch elektromechanische Schalter, die Schalter durch Ventile, die
Ventile durch Transistoren, die Transistoren durch mikroskopisch
kleine Halbleiter-Bauteile und schließlich die
Halbleiter-Bauteile durch Quantengatter ersetzt hatten, die sich am
Rand des Heisenbergschen Unschärfeprinzips bewegten,
überflutete sie die Gehirne ihrer Versuchspersonen
einschließlich ihres eigenen mit Maschinen und stellte damit
Verbindungen zwischen den Hirnzellen her, die zu den bereits
vorhandenen genau parallel waren, aber Nervensignale sehr viel
schneller übermitteln konnten. Dann wurden die normalen
Neurotransmitter- und Nervensignale mit Medikamenten oder weiteren
Maschinen blockiert, und Galianas zweites Netz übernahm die
neurale Verarbeitung. Subjektiv wurden die Denkprozesse als normal,
aber stark beschleunigt empfunden, so als hätte man das Gehirn
so angeregt, dass es Gedanken zehn bis fünfzehn Mal schneller
verarbeiten konnte als ein nicht aufgerüstetes Bewusstsein. Zwar
traten Probleme auf, die dafür sorgten, dass diese
Beschleunigung höchstens über Sekunden aufrechterhalten
werden konnte, aber im Großen und Ganzen waren die Experimente
erfolgreich gewesen. Im beschleunigten Zustand konnte man zusehen,
wie ein Apfel von einem Tisch fiel, und zum Andenken an das Ereignis
einen Haiku verfassen, bevor er den Boden erreichte. Man konnte
verfolgen, wie sich die verschiedenen Muskeln in den Flügeln
eines Kolibris spannten und drehten, oder das kronenförmige
Muster bestaunen, das entstand, wenn ein Tropfen Milch auf eine
Oberfläche fiel. Und dass Menschen mit derart beschleunigten
Denkprozessen ausgezeichnete Soldaten waren, verstand sich von
selbst.
    Dann war Galiana in die nächste Phase eingetreten. Die
frühen Computeringenieure hatten entdeckt, dass man bestimmte
Problemklassen am besten anging, indem man ganze Heerscharen von
Computern parallel zusammenschaltete und sie über Netzknoten
gemeinsam auf die Daten zugreifen ließ. Galiana simulierte mit
ihren neural aufgerüsteten Versuchspersonen dieses Vorgehen,
indem sie deren Bewusstsein durch Datenkorridore verband, die es
ihnen gestatteten, Erinnerungen, Erlebnisse und sogar die Arbeit an
bestimmten Aufgaben wie etwa der Mustererkennung miteinander zu
teilen.
    Als dieses Experiment entgleiste – unkontrolliert von
Bewusstsein zu Bewusstsein überspringende Signale
zerstörten die bereits eingebauten Neuralmaschinen –, kam
es zu dem Ereignis, das unter dem Namen Transrationalismus bekannt
wurde, und, fast zwangsläufig, zum ersten Krieg gegen die
Synthetiker. Galianas Verbündete wurden von der Koalition
für Neurale Reinheit vernichtend geschlagen. Sie selbst sah sich
gezwungen, sich in einem kleinen befestigten Laborkomplex innerhalb
der Großen Mauer auf dem Mars zu verschanzen.
    Dort hatte sie im Jahre 2190 Clavain gefangen genommen und
Bekanntschaft mit ihm geschlossen. Dort war wenige Jahre später
auch Felka geboren worden. Und dort waren Galianas Experimente
schließlich in die dritte Phase getreten. Immer noch nach dem
Vorbild der ersten Computeringenieure wollte sie nun erforschen, was
sich mit einem quantenmechanischen Ansatz erreichen ließe.
    Die Computeringenieure im späten zwanzigsten und frühen
einundzwanzigsten Jahrhundert hatten – für Galianas
Begriffe kaum der Uhrwerksepoche entwachsen – mit Methoden, die
auf quantenmechanischen Prinzipien beruhten, Probleme wie die
Primfaktorzerlegung sehr großer Zahlen gelöst, die anders
nicht zu lösen gewesen wären. Ein herkömmlicher
Computer, selbst eine ganze Armee von herkömmlichen Computern
zusammen hatten keine Chance, vor dem Ende des Universums die
Zerlegung zu finden. Mit der geeigneten Ausrüstung – einem
hässlichen Arrangement aus Prismen, Linsen, Lasern und optischen
Prozessoren, auf einem Labortisch

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