Die Arche
es genau einhundertundsiebzehn Tanks waren.
Einhundertundsiebzehn Menschen waren mit Galianas Schiff aus dem All
zurückgekehrt, aber jeder Wiederbelebungsversuch wäre
aussichtslos gewesen. Viele Mitglieder ihrer Besatzung waren so
grässlich verstümmelt, dass man die manchmal sehr
spärlichen Überreste nur durch eine Analyse des Genprofils
auseinander halten konnte. Dennoch war jedem identifizierten
Individuum ein eigener Kälteschlaftank zugewiesen worden.
Clavain ging durch die Reihen. Die Gitter auf dem Fußboden
klirrten unter seinen Schritten. Die Tanks summten leise. Sie waren
alle noch in Betrieb, aber nicht, weil eine realistische Hoffnung auf
Wiederbelebung bestanden hätte. Man hielt es nur für
ratsam, die Überreste gefroren zu halten. Zwar gab es keine
Anzeichen dafür, dass in irgendeinem Körper eine aktive
Wolfs-Maschine eingebettet wäre – mit einer Ausnahme
natürlich –, aber das hieß noch lange nicht, dass
sich nicht vielleicht mikroskopisch kleine Wolfsparasiten
eingeschlichen hatten, die nicht aufzuspüren waren. Man
hätte die Leichen auch verbrennen können, doch damit
hätte man sich jede Möglichkeit genommen, jemals mehr
über die Wölfe in Erfahrung zu bringen. Und Umsicht war
eine der hervorragendsten Eigenschaften des Mutternests.
Dann hatte Clavain Galianas Kälteschlaftank erreicht. Er
stand abseits von den anderen etwas erhöht auf einem
schrägen Sockel. Mit seinem Netzwerk aus freiliegenden, teils
korrodierten Leitungen erinnerte er an einen reich verzierten
Steinsarkophag. So hätte man eine Feenkönigin aufgebahrt,
eine heiß geliebte, heldenhafte Monarchin, die ihr Volk bis zum
bitteren Ende verteidigt hatte und jetzt inmitten ihrer treuen
Ritter, Ratgeber und Hofdamen in Frieden ruhte. Der Deckel des Tanks
war durchsichtig und ließ schon von weitem die Umrisse ihrer
Gestalt erkennen. Sie schien sich mit Gelassenheit in ihr Schicksal
gefügt zu haben. Die Arme waren über der Brust
verschränkt und das Gesicht schaute zur Decke, wodurch der edel
geformte, kräftige Unterkiefer noch betont wurde. Die Augen
unter der faltenlos glatten Stirn waren geschlossen. Zu beiden Seiten
des Kopfes lag das lange schwarze Haar mit den grauen Strähnen
ausgebreitet wie ein dunkler See. Millionen von Eispartikeln
glitzerten auf ihrer Haut und schillerten in zarten Blau, Rosa- oder
Grüntönen, wenn sich Clavains Blickwinkel veränderte.
Sie sah so wunderschön und zart aus, als wäre sie aus
Zucker.
Clavain hätte am liebsten geweint.
Er legte die Hand auf den kalten Deckel des Tanks und strich, vier
schwache Spuren hinterlassend, mit den Fingern darüber hin.
Tausend Mal hatte er sich ausgemalt, was er ihr sagen könnte,
sollte sie sich jemals aus dem Griff des Wolfs befreien. Seit jenem
ersten Mal kurz nach ihrer Rückkehr war sie nicht wieder
aufgetaut worden, aber das hieß nicht, dass man es in etlichen
Jahren oder Jahrhunderten nicht noch einmal versuchen könnte.
Hin und wieder hatte Clavain sich auch überlegt, was er sagen
würde, falls die wahre Galiana nur für einen winzigen
Moment hinter der Maske sichtbar würde. Ob sie sich
überhaupt an ihn und ihre gemeinsamen Erlebnisse erinnerte? Oder
an Felka, die praktisch ihre Tochter war?
Solche Grübeleien waren fruchtlos. Er würde nie wieder
mit ihr sprechen.
»Ich habe einen Entschluss gefasst«, sagte er. Der Atem
stand ihm als weiße Wolke vor dem Mund. »Ich weiß
nicht, ob er in deinem Sinne ist, denn du hättest nie
zugelassen, dass etwas wie das Innere Konzil überhaupt ins Leben
gerufen wurde. Es heißt, der Krieg hätte es unvermeidlich
gemacht; um unsere Operationen geheim halten zu können,
hätte sich eine Unterteilung unseres Gemeinschaftsbewusstsein
nicht umgehen lassen. Aber das Konzil war in Ansätzen schon vor
Ausbruch des Krieges vorhanden. Wir hatten von jeher Geheimnisse,
sogar vor uns selbst.«
Seine Finger waren jetzt sehr kalt. »Ich tue es, weil ich
glaube, dass bald etwas Schlimmes passieren wird. Ist es etwas, das
verhindert werden muss, dann werde ich mich nach Kräften darum
bemühen. Ist es jedoch nicht zu ändern, dann werde ich mich
nach Kräften bemühen, das Mutternest durch die Krise zu
führen. Doch beides kann ich nicht von außen tun.
Noch nie hat mich ein Sieg so geängstigt wie diesmal,
Galiana. Irgendetwas sagt mir, dass auch du so empfinden
würdest. Du warst immer misstrauisch, wenn etwas zu einfach
erschien, so als wäre es eine List. Wer wüsste das besser
als ich? Ich bin dir
Weitere Kostenlose Bücher