Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
stilgerecht und ratterte bis vor die Tür, wo er die Kutsche in einem Hagel von Kies zum Stehen brachte. Zanna hatte ihn eigentlich zum Hintereingang begleiten wollen, um ihm zu helfen, die wertvollen Pakete abzuladen, aber davon hielt Dulsina nichts. »Nein, nein, mein Mädchen«, sagte sie. »Geh hinein. Ich werde dir etwas schönes Heißes zu trinken machen. Leg deine Füße eine Weile hoch. Es ist schon schlimm genug, daß du wie eine Dienstmagd über den Markt laufen mußtest. Deine arme Mutter – gesegnet sei sie – würde sich in ihrem Grabe umdrehen.«
Zanna ließ sie reden, während sie hineingingen; sie wußte, daß die Haushälterin nicht nur ihretwegen empört war. Dulsina selbst konnte man ihr Alter nicht ohne weiteres ansehen; ihre Haut war rein und ohne Falten, und ihr dunkles Haar zeigte noch keine Spuren von Grau. Sie hatte Zannas Mutter sehr nahegestanden, und diese Freundschaft war es gewesen, so wollte es der Dienstbotenklatsch, die sie davon abgehalten hatte, Vannor nach dem Tode seiner Frau ihre versteckten Gefühle zu offenbaren. Die anderen Dienstboten allerdings hatten es als sicher angesehen, daß der Kaufmann sie irgendwann heiraten würde – bis Sara aufgetaucht war.
Während Dulsina bereits geschäftig die Treppe zur Küche hinuntereilte, war Zanna in der geräumigen Eingangshalle noch damit beschäftigt, sich aus den Umhängen und Schals zu befreien, in die sie die besorgte Haushälterin eingewickelt hatte. Sie seufzte. Dulsina meinte es nur gut, aber sie war es langsam leid, sich immer wie ein Kind behandelt zu lassen.
Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu Lady Aurian. Als Magusch und Kriegerin konnte sie reiten und fechten wie ein Mann, und niemand würde sie in einer halben Schiffsladung Wolle einwickeln.
Ich wünschte, ich wäre wie sie, dachte Zanna. Sie schob sich gerade ihr Kopftuch von den Ohren, als sie lautes Wutgeschrei vernahm. Bei den Göttern! Nicht noch eine Katastrophe! Zanna rannte los. Sie hatte die halbe Treppe geschafft, als sie das Heulen ihres kleinen Bruders hörte.
Es kam aus Saras Zimmer, und unter anderen Umständen hätte Zanna darüber wohl lachen können. Antor, inzwischen ein mobiler und spitzbübischer Dreijähriger, war seinem Kindermädchen entkommen und durch die offene Tür in Saras verwaistes Zimmer gelangt. Die Sammlung von Krügen und Fläschchen vor dem Spiegel des Nachttisches hatte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf das Kind ausgeübt.
Ein widerlicher Gestank nach verschüttetem Parfüm schlug Zanna entgegen. Sie erfaßte sofort, was vorgefallen war – der Teppich war mit Puder bedeckt, die Fläschchen und Phiolen lagen durcheinander, ihr Inhalt hatte sich über den Tisch ergossen, und ein Fries von fettigen, farbigen Handabdrücken zog sich an der Wand und den Möbeln entlang und sogar über die Tagesdecke. Und Sara war dabei, mit verzerrtem und blutunterlaufenem Gesicht Antor wieder und wieder zu schlagen.
Zanna handelte, ohne auch nur eine Sekunde lang nachzudenken. Ihre Abneigung gegen Sara und ihr heftiger Instinkt, Antor zu beschützen, vermischten sich zu einem einzigen Wutanfall. »Laß ihn in Ruhe, du Hexe!« Sie flog durch den Raum und riß das Kind weg. Sie hätte die Dinge gern unter Kontrolle gehalten – schließlich handelte es sich immerhin um ihre Stiefmutter –, aber als Sara ihr eine Ohrfeige gab, verlor Zanna jeden Sinn für Zurückhaltung. Sie landete einen harten Schlag, bevor Sara sich wehren konnte, und dann gingen die beiden zu Boden; sie bissen sich, sie kratzten sich, sie zogen einander am Haar und schrien dabei wie die Wildkatzen, und alledem fügte Antor im Hintergrund sein schrilles Wehklagen hinzu.
Keiner von ihnen hörte Vannor hereinkommen. Sie merkten erst, daß er da war, als er sich in das Getümmel stürzte und seine Tochter und seine Frau auseinanderriß. Ein Blick in sein Gesicht, und das Feuer von Zannas Zorn verwandelte sich in die kalte Asche des Schreckens. Antors Heulen war das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach, bis von der Tür her ein Lachen ertönte. »Bei meinem Eid, Vannor. Du hast ja die richtigen Rangen hier! Ich wußte gar nicht, daß dein Familienleben so interessant ist!«
Zu Zannas Schrecken stand ein Fremder in der Tür und wurde Zeuge des unrühmlichen Schauspiels, und obwohl sie im Augenblick über alle Maßen verlegen war, machte ihr Herz beim Anblick des gutaussehenden jungen Mannes einen großen Sprung.
Auf Vannors Stirn braute sich ein Unwetter
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