Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
verrückten Vorschlag zu machen. Und nie zuvor hatte sie aus dem Munde der Haushälterin Kritik an ihrem Vater gehört.
Wie in einem Taumel zog sie sich warm an und begann unter Dulsinas Anleitung, etwas Kleidung zusammenzupacken, während ihr die Haushälterin erklärte: »Du bist aus dem richtigen Holz geschnitzt, Zanna – ich weiß, daß man dir ein Geheimnis anvertrauen kann. Meine Schwester Remana ist – war, sollte ich sagen – mit Leynard verheiratet, dem Anführer der Nachtfahrer.«
Zanna schaute sie an und japste nach Luft. Das halb gefaltete Nachthemd in ihrer Hand war vergessen. Die Nachtfahrer? Diese nicht faßbaren Schmuggler, die mit den verbotenen südlichen Königreichen Handel trieben, Seide, Edelsteine und Gewürze ins Land schmuggelten und Generationen von Garnisonskommandanten zur Verzweiflung getrieben hatten? Die sittsame Dulsina hatte eine Schwester, die mit einem Schmuggler verheiratet war?
»Du solltest auch wissen«, fuhr Dulsina fort, »daß dein Papa durch den Handel mit den Nachtfahrern sein Glück gemacht hat. Der Besucher, den er heute abend empfängt, ist mein Neffe Yanis – er ist im letzten Jahr ihr Anführer geworden, nachdem Leynard nicht mehr von See zurückkam. Wenn Yanis nachher wieder zurückkehrt, wird er dich mitnehmen.« Sie machte eine Pause und zwinkerte. »Merk dir, er hat Angst vor Vannor, es ist also am besten, wenn er so wenig wie möglich von dieser Sache erfährt. Ich werde dir einen Brief an meine Schwester mitgeben – Remana wird sich um euch kümmern.«
»Aber was ist mit Papa?« protestierte Zanna. »Er wird sehr wütend sein! Und was ist, wenn Sara trotzdem einen Ehemann für mich bestimmt? Wie ich Papa kenne, wird er auf alle Fälle nachkommen und mich auf schnellstem Wege wieder zurückholen. Außerdem werde ich ihn furchtbar vermissen. Wie könnte ich ihn verlassen – und dazu noch am Sonnenwendfest?«
»Kind, du machst dir zuviel Gedanken.« Dulsina drückte sie an sich. »Vannor würde nicht dir die Schuld geben, sondern auf mich böse sein. Und Sara wird viel zu beschäftigt sein, um sich einzumischen.« Sie grinste. »Wenn du fort bist, wird Vannor schnell merken, wer hier wirklich den Haushalt in Schwung gehalten hat – und ich werde nicht dort einspringen, wo du fehlst! Soll Sara sich doch selbst mit all den mühseligen Kleinigkeiten herumplagen, die du und ich ihr abgenommen haben. Wenn sie die große Dame spielen will, dann wird es Zeit für sie, zu lernen, daß das mehr bedeutet, als herumzusitzen und ihre Juwelen zu zählen!«
»Aber was ist, wenn Papa mir nachkommt?« bohrte Zanna weiter.
»Unmöglich«, sagte Dulsina schroff. »Das Versteck der Schmuggler ist ein strenggehütetes Geheimnis – so streng, daß Leynard es noch nicht einmal seinem Partner verraten hat. Vannor wird nicht wissen, wo du bist, und ich werde es ihm nicht sagen – außer, es tritt ein wirklicher Notfall ein. Vertrau mir nur, meine Liebe, und alles wird gut werden.«
Zanna zögerte. Dann überlegte sie, wie ihre Zukunft wohl aussehen würde, wenn sie an einen dümmlichen Kaufmannssohn verheiratet würde, der sie nicht liebte. Sie gab sich keinen Illusionen über ihr Äußeres hin – sie war klein und stämmig wie ihr Vater, mit einem einfachen, nüchtern wirkenden Gesicht: Von den weidenschlanken, zarten Geschöpfen, mit denen die wohlhabenden Kaufleute gern ihre kostbaren Häuser schmückten, war sie Welten entfernt. Sie war klug und von rascher Auffassungsgabe, und ihre größte Enttäuschung war, daß ihr Vater sie nicht bei seinen Handelsgeschäften mit ihm zusammenarbeiten ließ. »Hat man denn jemals von einer Frau als Kaufmann gehört?« pflegte er sie sanft zu rügen. »Das gibt es einfach nicht.«
Es gibt ja auch weibliche Magusch, dachte Zanna vorwurfsvoll – und Frauen als Krieger. Warum keine Kauffrau, das wüßte ich gern. Zwangsläufig mußte sie wieder an den Nachmittag und ihr Treffen mit Aurian und Maya denken. Na gut, sagte sie sich. Du wolltest so sein wie sie – vielleicht ist das deine Chance! Sie hob ihren Kopf und drehte sich zu Dulsina um. »Du hast recht«, sagte sie. »Ich bin bereit. Es kann losgehen!«
In Eile und durch die Hintertür verließ Yanis die Villa des Kaufmanns; seine Ohren klangen noch von Vannors Beschimpfungen. Große Götter, wenn der alte Partner seines Vaters in Zorn geriet, dann konnte das schon einen gestandenen Mann in Angst und Schrecken versetzen! »Es war nicht meine Schuld«, murmelte er hilflos.
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