Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
zusammenzucken. Warum tat es immer noch so weh, an sie zu denken? »Jedenfalls«, fuhr er eilig fort, »sagte sie immer, daß ich es ganz sanft machte.«
»Du solltest es vielleicht einmal versuchen«, meinte Aurian. Sie wirkte überrascht, daß er etwas von seiner Vergangenheit preisgegeben hatte, aber Anvar wußte, daß sie es bereits aufgegeben hatte, ihn danach zu fragen.
Anvar nahm die Bürste und begann Aurian zu frisieren, entwirrte vorsichtig die Strähnen mit seinen Fingern, bevor er sie bürstete. Er genoß das Gefühl des dichten, langen, dicken Haares, das wie schwere Seide durch seine Hände glitt. Bald konnte er es mit langen glatten Bewegungen bürsten und dabei beobachten, wie sich Aurians Schultern zu lockern begannen. »Das ist wunderbar«, seufzte sie. »Du bist der reinste Segen, Anvar. Ich weiß gar nicht, wie das Haar so verfilzen konnte – das passiert normalerweise nicht, wenn ich es geflochten habe. Esmuß an Parrics Kavallerietraining liegen. Das ging den ganzen Tag lang rauf aufs Pferd, runter vom Pferd und sogar unter das Pferd – ganz zu schweigen davon, wie oft ich einfach heruntergefallen oder abgeworfen worden bin.«
»Unterscheidet sich der Kampf zu Pferde sehr vom Kampf zu Fuß, Herrin?« fragte Anvar. Sie hatte ihn in letzter Zeit die Anfänge des Schwertfechtens gelehrt, und er war entschlossen, sich auf dem Gebiet hervorzutun.
Aurian nickte. »Es ist etwas ganz anderes«, antwortete sie. »Zum einen stehst du nicht auf deinen eigenen Füßen – du sitzt auf einem großen schweren Ding, das viel unbeweglicher ist, so daß du dich eher auf Kraft als auf Schnelligkeit verlassen mußt. Es gibt verschiedene Kampfstile, je nachdem, ob deine Gegner ebenfalls beritten sind oder zu Fuß. Wenn sie zu Fuß sind, werden sie versuchen, vonunten an dich heranzukommen und das Pferd außer Gefecht zu setzen, das schon allein eine sehr wirksame Waffe ist – die Schlachtpferde sind ebenso zum Kampf ausgebildet wie ihre Reiter …« Sie brach mit einem reumütigen Lächeln ab. »Es tut mir leid, Anvar. Ich wollte eigentlich keine Unterrichtsstunde anfangen. Bei Parric habe ich im Moment Pferdekunde bis zum Abwinken.«
Anvar gab das Lächeln an ihr Spiegelbild zurück und freute sich über die Ungezwungenheit, die sich mittlerweile zwischen ihnen eingestellt hatte. »Soll ich dein Haar wieder zu einem Zopf flechten?« fragte er.
»Kannst du das denn auch?« Aurian klang überrascht. »Bei den Göttern, Anvar, kennen deine Fähigkeiten denn gar keine Grenzen?« Sie kicherte. »Ich nehme an, du hast schon begriffen, daß du dir gerade einen neuen Job aufgehalst hast. Mir tun immer die Arme weh von der langwierigen Flechterei!«
»Ich würde es gern machen, Herrin«, sagte Anvar und war überrascht festzustellen, daß dem wirklich so war.
»Ich danke dir, Anvar. Das freut mich wirklich. Aber nicht heute abend. Wir essen mit Vannor, und ich möchte einmal wie eine Lady aussehen und nicht wie eine Kriegerin.« Sie schlang ein Netz aus Goldfäden über ihr glattes Haar, das die feuerrote Flut bändigen sollte, erhob sich dann und strich den Rock ihres smaragdgrünen Kleides glatt. »Also«, sagte sie, »ich muß jetzt los. Bis später, Anvar – oh, verflucht, wer kann das sein?«
Es hatte vernehmlich geklopft, und Anvar ging zur Tür, um zu öffnen. Es war ein Diener, der Lady Aurian zum Erzmagusch beordern sollte. Aurian verzog das Gesicht, als er ihr die Botschaft überbrachte. »Fledermauskacke! Ich werde zu spät kommen! Hat er gesagt, was Miathan will?«
»Es tut mir leid, Herrin.« Anvar schüttelte den Kopf. Die Magusch gab einen langen Seufzer von sich. Anvar entging es nicht, daß hinter ihrer Maske von Lässigkeit Furcht aufflackerte. »Herrin, wenn du lieber jetzt sofort fort willst, dann werde ich zum Erzmagusch gehen und ihm sagen, daß ich einen Fehler gemacht habe und daß du bereits fort bist«, bot er ihr an.
»Danke, aber ich gehe besser selbst. Miathan gehört zu denen, die den Überbringer für die Nachricht verantwortlich machen! Ich komme mir noch meinen Mantel holen, bevor ich gehe – ich hoffe, daß es nicht so lange dauern wird.«
Als Aurian gegangen war, machte Anvar sich in ihren Gemächern zu schaffen und räumte die Kleider weg, die sie nach ihrer Rückkehr von der Garnison achtlos abgelegt hatte. Er sammelte ihre lederne Kampfmontur, ihren Sehwertgürtel und ihre Stiefel auf und rollte sie zusammen mit dem Mantel, der einst Forral gehört hatte, zu einem
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