Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
gingen als Götter und Gottheiten in die Legende ein – Iriana mit den Tieren, Thara von den Feldern und Melisanda mit den heilenden Händen; Chathak, Gott des Feuers, Yinze vom Himmel und Ionor der Weise. Aus ihm wurde für die südlichen Rassen der Schnitter der Seelen, weil er einen Teil des Vermächtnisses der Leviathane besaß und sie es waren, die den Kessel geschaffen hatten, der, so hieß es, über die Wiedergeburt der Seelen wachte. Avithan wurde zum Vater der Götter und Cailleach zu ihrer Mutter.
Aber was war aus den vier großen Artefakten der Macht geworden? Das Schwert war verborgen und wartete auf den Einen, für den es geschmiedet ward. Die Windharfe hatte die Zeitlichkeit verlassen. Der Stab der Erde war verloren, und man glaubte, daß der Kessel in der Verheerung untergegangen sei. Wer hätte gedacht, daß ein Bruchstück davon die Zeiten überdauerte, um in zukünftigen Zeitaltern noch einmal den Sand des Zufalls in das Räderwerk des Gleichgewichts zu streuen.
Aurian tauchte aus Ithalasas Erzählung wieder an die Oberfläche ihres Bewußtseins empor, benommen von dem, was sie gesehen und gehört hatte. Die Geschichte ihres Volkes war vor ihr ausgebreitet worden wie ein offenes Buch. Aber nach alledem schien ihr Ziel unerreichbarer zu sein als jemals zuvor. Miathan hatte eine der Waffen, und zwei der anderen waren offenbar jedem Zugriff entrückt. Selbst die vierte, der Stab der Erde, war seit ungezählten Zeitaltern verloren. Nur die Gegenwart des Leviathan hielt die Magusch von einem gewaltigen Fluch ab. Statt dessen begnügte sie sich mit einem verzagten Seufzer.
»Ach, Vater. Du hättest dir keine Sorgen zu machen brauchen, was ich mit den Waffen anstellen könnte. Ich sehe nicht die geringste Hoffnung, in ihren Besitz zu gelangen. Ich muß wohl ohne sie gegen den Erzmagusch ins Feld ziehen – aber die Götter allein wissen, wie.«
»Verzweifle nicht, Kleine«, beruhigte Ithalasa sie. »Du weißt jetzt viel mehr über die Natur unserer Welt und über die Mächte und die Völker, die sie beherbergt, als dein Feind. Vielleicht wirst du Verbündete finden, mit denen du nicht gerechnet hast. Und da du jetzt das Schicksal der Waffen kennst, kann es gut sein, daß sie sich schließlich ganz von selbst bei dir einfinden.«
Wohl kaum, dachte Aurian unwillig, verbarg diesen Gedanken aber sorgfältig vor Ithalasa. Er hatte sein Bestes getan, und sie war ihm dankbar. Seine nächsten Worte steigerten ihre Dankbarkeit noch. »Ich kann noch eines tun, um dir zu helfen, Tochter. Weder ich noch meine Leute können für dich kämpfen. Das liegt jenseits unserer Natur. Aber ich werde dir eine Beschwörungsformel überlassen – die alte Beschwörung, um die Orca aus ihrer Ruhe zu erwecken. Aber ich bitte dich um ihres Leidens willen, diese Beschwörung nicht zu gebrauchen, wenn du nicht in äußerster Not bist. Doch weiß ich auch, daß du das nicht tun würdest.« Und wieder überschwemmten seine Gedanken sie voller Liebe und Anerkennung, und mit ihnen zusammen übertrug er ihr die Beschwörungsformel – den seit ewigen Zeiten nicht mehr benutzten Ruf, um die Krieger der Rasse der Leviathane aus ihrem Schlaf zu wecken.
»Ithalasa, wie kann ich dir jemals danken?« sagte Aurian. Sie war geradezu überwältigt von Dankbarkeit.
»Verhüte eine neue Verheerung, Tochter. Stell den Frieden der Welt wieder her, falls du es irgendwie vermagst.«
Die Nacht senkte sich über sie, und Aurian war wieder hungrig und sehr müde. Der Leviathan bestand darauf, daß sie aß und schlief, bevor sie zu ihren Gefährten zurückkehrte. Am nächsten Morgen machten sie sich auf den Weg nach Norden. Die Magusch saß auf dem breiten Rücken ihres Freundes und versuchte, ihre Angst und Ungeduld zu zügeln. Als sie den waldgesäumten Strand erreichten, wo sie Anvar und Sara zurückgelassen hatten, fanden sie niemanden vor.
20
Der Sklavenmeister
Die vertraute Art und Weise, in der sich der Boden hob und senkte, machte Anvar klar, daß er sich wieder einmal an Bord eines Schiffes befand. Er war mit einem groben Seil gefesselt, und sein schmerzender Kopf dröhnte im Takt eines hohlen, dumpfen Trommelschlages, der in unablässiger Eintönigkeit an sein Ohr drang. Einen Augenblick lang lag er ganz still da, seine Wange ruhte auf feuchten, splittrigen Planken, und er wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Es war zum Ersticken heiß. Er konnte Teer und stinkende Menschenleiber riechen, Erbrochenes und Exkremente. Neben
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