Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
so tun, als sei er ohne Bewußtsein. Als er würgte und spuckte, griff Harag brutal in sein Haar und zog seinen Kopf nach hinten. Er stieß einen langen, erstaunten Pfiff aus. »Bei meiner Seele, Abuz, das mußt du dir ansehen! Es stimmt wirklich – die Nordländer haben Augen von der Farbe des Himmels!« Mit einem Schaudern ließ er Anvars Kopf wieder fallen. »Igitt! Einfach unnatürlich nenne ich das. Ich bin froh, daß der Kapitän ihn verkauft – mit solchen Augen muß er einfach Unglück bringen.«
Abuz nickte, ohne auch nur einen Augenblick den Takt seines Trommelschlags zu vermindern. »Ich weiß, was du meinst. Ich hab’ mal einen gesehen, als ich noch jung war – einen gefangenen Spion, der hingerichtet werden sollte. Als sie ihm den Kopf abgeschlagen hatten, haben diese bleichen Augen direkt durch mich hindurchgestarrt. Ich hab’ hinterher noch eine ganze Ewigkeit lang Alpträume gehabt. Nordländer sind immer ein schlechtes Omen, glaube ich. Nur gut, daß wir fast zu Hause sind.«
»Ob wir ihm was zu essen geben sollen?« überlegte Harag. »Der Kapitän wird uns das Fell über die Ohren ziehen, wenn er in schlechter Verfassung ankommt.«
»Ach was. Er wird sich bloß übergeben, und du hast gerade erst sauber gemacht. Sie können ihn im Sklavenpferch füttern – auf ihre Kosten.«
Anvar schloß in tiefstem Elend die Augen. Ein Sklave! O ihr Götter, nein! Und was war aus der armen Sara geworden? Mit einem lautlosen Fluch kämpfte er gegen seine Fesseln, bis Harag ihm einen grausamen Tritt in den Magen versetzte. Anvar krümmte sich und erbrach Galle auf die Planken. Harag heulte zornig auf. »Du dreckiges Schwein! Ich habe gerade erst sauber gemacht!« Er hob die Peitsche, und Anvar krümmte sich in Erwartung des Schlages.
»Hör auf damit, Harag!« bellte Abuz. »Ich habe keine Lust, meinen Bonus zu verlieren, weil du dich nicht zusammennehmen kannst!«
Harag drehte sich um. Er hielt die Peitsche noch immer hoch erhoben, und sein Gesicht war rot vor Zorn. »Kümmere du dich um deine eigenen Angelegenheiten, du fetter Ochse!«
Abuz legte die gewaltigen Stöcke auf die Trommel und erhob sich. Er war so groß, daß er sich unter der niedrigen Decke bücken mußte. Die Sklaven hörten sofort auf zu rudern, und Erleichterung malte sich auf ihren schmerzverzerrten, schweißüberströmten Gesichtern ab. »Muß ich etwa herunterkommen und dir zeigen, wo es langgeht, Harag?« fragte Abuz. »Denn langsam machst du mich wirklich wütend, und du weißt, was passiert, wenn ich wütend werde!«
Harags dunkles Gesicht wurde bleich. Langsam senkte er die Peitsche.
»Was im Namen des Schnitters ist da unten los?« hallte die zornige Stimme des Kapitäns durch die offene Luke über ihren Köpfen. »Warum stehen die Ruder still?«
Abuz zuckte zusammen. »Tut mir leid, Kapitän. Wir hatten nur ein kleines Problem mit dem neuen Sklaven.« Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte er sich hastig wieder hin, griff nach seinen Trommelstöcken und nahm den schnellen Schlagrhythmus wieder auf. Harag, der seine Wut an den keuchenden, mit glasigen Augen blickenden Sklaven ausließ, schritt im Gang auf und ab und trieb sie mit der Peitsche zu immer größeren Kraftanstrengungen. Anvar rollte sich zusammen, hielt sich seinen mißhandelten Magen und gab sich vollkommener Verzweiflung hin.
Ein stinkender Sack wurde über Anvars Kopf gestülpt, und grobe Hände hoben ihn hoch. Als sie ihn durch die Luke zerrten, hörte er Geräusche, die wahrscheinlich vom Hafen stammten. Die Hitze der Sonne traf ihn wie ein Keulenschlag, während er über eine holprige Laufplanke vom Schiff getragen und dann so brutal fallen gelassen wurde, daß es ihm für einen Augenblick den Atem raubte. Plötzlich war er wieder in Bewegung – das Holpern ließ darauf schließen, daß er sich auf einem Karren befand –, und die Vielfalt der Geräusche um ihn herum schien auf ein größeres Dorf oder eine Stadt hinzudeuten. Er glaubte zu verstehen, warum man ihm den Sack über den Kopf gezogen hatte – selbst wenn es ihm gelingen sollte, sich loszureißen, würde er keine Ahnung haben, wo er sich befand oder in welche Richtung er laufen sollte. Da er mit den Bräuchen dieses Landes nicht vertraut war, kam ihm nicht in den Sinn, daß der Sack außerdem dazu diente, die Tatsache zu verbergen, daß der Kapitän einen illegalen Fremden auf den Sklavenmarkt brachte, statt ihn den örtlichen Behörden zu übergeben, wie es das Gesetz verlangte.
Der
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