Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
seinen starken, gewölbten Nacken unter der üppigen Mähne, und Tränen schnürten ihm die Kehle zu. »O meine Liebste«, murmelte er, »wie sehr ich dich vermissen werde.« Das unsichtbare Einhorn schnaubte und warf seinen Kopf zurück.
»Du hast recht«, sagte D’arvan. »Ich sollte mich besser gleich an die Arbeit machen.«
Dann drehte er sich um, hob den Stab der Lady Eilin und begann, den Wald zu rufen.
23
Der Dämon
Der Lärm der aufgeregten Menge drang bis in den hintersten Winkel. Auf den langen Reihen von Marmorbänken drängten sich dicht an dicht schwitzende Menschenleiber. Die Erregung hatte ihren Höhepunkt erreicht, und die Menge teilte ihre Aufmerksamkeit zwischen dem sandbedeckten, runden Kampfplatz inmitten des gewaltigen Steinbaus des Stadions und dem blumengeschmückten, königlichen Balkon. Dort saßen der finster dreinblickende Khisal, der rechtmäßige Erbe des Throns, und der lächelnde Khisu Xiang mit seiner neuen Königin, der Khisihn, deren Hochzeit heute gefeiert wurde. Die Menge glotzte mit großer Neugier zu dem Balkon hinauf. Es war tatsächlich ein Tag der Wunder – daß der Khisu, der so lange mit seinem Harem voller Schönheiten zufrieden gewesen war, nun doch noch eine andere Dame zu seiner Gemahlin erhoben hatte, die den Platz der alten Königin einnehmen sollte, die nun schon seit vielen Jahren tot war. Die Gerüchte wollten wissen, daß sie von des Khisus eigener Hand ermordet worden war.
Runzlige, scharfsinnige alte Weiber nickten einander weise zu. »Der junge Prinz muß jetzt sehr vorsichtig sein«, sagten sie. »Er hat nie die Gunst seines Vaters gehabt. Wenn die neue Königin einen Sohn zur Welt bringt, wird sich Khisal Harihn ganz schnell in einem Sack am Grund des Flusses wiederfinden, so wie seine Mutter.«
Sie beobachteten die frühen Kämpfe mit wenig Aufmerksamkeit und noch weniger Geduld, denn sie warteten darauf, daß das eigentliche Vergnügen endlich begann. Heute sollte ein neuer Krieger kämpfen. Ein fremder Krieger – und, der Schnitter bewahre uns, eine Frau! Eine Zauberin, so wild wie der Schwarze Dämon selbst. Gerüchten zufolge hatte sie weiter flußabwärts ein ganzes Dorf in Schutt und Asche gelegt. Und wegen dieser Geschichte hatte sich die Arena an diesem Tag schon früh gefüllt. Draußen vor dem Tor wurden noch immer Hunderte von enttäuschten Schaulustigen abgewiesen.
Im Hof der Krieger, unterhalb der steinernen Zuschauerreihen, war es schattig und kühl. Aurian stand allein in einer Ecke und ging Forrals Übungen durch, um ihren Körper und ihren Geist auf die bevorstehende Prüfung vorzubereiten. Es fiel ihr schwer, die Angst um ihr Kind zu unterdrücken, denn sie wußte, daß die Anstrengungen und Risiken dieses Tages möglicherweise das Ende für das unglückliche kleine Würmchen bedeuten konnten. Wenn sie doch nur ihre Magie hätte, dann wäre sie vielleicht in der Lage gewesen, es zu beschützen, aber wie die Dinge lagen …
»O Chathak«, betete sie, »beschütze dieses Kind, ein Kind von Kriegern.«
Aurian war sich verschwommen der Tatsache bewußt, daß die Blicke der anderen Kämpfer neugierig auf sie geheftet waren. Sie waren Fremde füreinander, die voneinander ferngehalten wurden, damit sich keine unerwünschten Freundschaften zwischen ihnen entwickeln konnten. Sie begegneten einander nur in streng überwachten Trainingsrunden, und selbst dann durften sie nicht miteinander reden. In den letzten Wochen hatte Aurian mit einigen dieser Männer trainiert und sogar Eliizar mit ihren Fähigkeiten erstaunt. Abgesehen vom Training hatte sie ihre Tage überaus angenehm verbracht, mit essen, ausruhen und so manchem erfrischenden Bad in dem großen Schwimmbassin der Arena. Sie war so gut vorbereitet, wie sie es nur sein konnte. Nun verdrängte sie alle Gedanken an ihr früheren Begleiter und sogar an ihr Kind, um die innere Ruhe und Gelassenheit zu finden, die sie brauchen würde, um ihr Leben zu retten und ihre Freiheit wiederzugewinnen – denn trotz Eliizars Warnung war sie fest entschlossen, das zu versuchen.
Trotz seines anfänglichen Widerstrebens war Eliizar ihr ein Freund geworden, ebenso wie seine plumpe, mütterliche Frau Nereni, die sich um Aurian, den einzigen weiblichen Krieger, kümmerte. Bei ihren Gesprächen hatte Aurian herausgefunden, daß Eliizar einst ein Offizier der Königlichen Garde gewesen war. Bei einem Mordanschlag auf den Khisu hatte er ein Auge verloren, nachdem er ganz allein alle vier
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