Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
kämpfen. Erst jetzt fiel ihr ein, daß die Männer in dem dunklen Flur nichts würden sehen können, und sie suchte nach einem ausgebrannten Fackelstumpf, der in einem Halter an der Wand hing; mit einer sorglosen Handbewegung entzündete sie die Fackel.
»Wie hast du … Lady, das ist verboten«, schallt sie eine strenge Stimme. Der Hauptmann der Garde, den sie an seinen Schulterinsignien erkannt hatte, stand vor ihr, und seine Augenbrauen waren zu einem mißbilligenden Stirnrunzeln zusammengezogen.
»Wenn ihr den Khisal retten wollt, haben wir keine Zeit, wählerisch zu sein«, sagte Aurian knapp und war von ganzem Herzen dankbar für die Art, wie er ihre Worte mit einem brüsken Nicken akzeptierte. Dann zog er den Schlüsselbund aus dem Schloß und schickte einen seiner Männer den Korridor hinab, um die anderen Zellen zu öffnen. Ein praktisch veranlagter Mann also. Wie sein Prinz schien er noch recht jung für seine Verantwortung zu sein. In dem langen, schwarzen, sorgfältig nach hinten gebundenen Haar zeigte sich keine Spur von Grau, aber seine Ernsthaftigkeit und der ehrliche, gerade Blick in seinen dunklen Augen versprach Aurian einen Quell von Mut und gesundem Menschenverstand. Sie hatte keine Zeit, noch weitere Einzelheiten zu vermerken, denn in diesem Augenblick kämpfte sich eine riesige Gestalt nach vorn, die die Soldaten mühelos mit den Ellenbogen zur Seite schob.
»Bohan! Dank den Göttern, daß mit dir alles in Ordnung ist.« Aurian stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu umarmen, und sah, wie sich ein erstauntes, aber erfreutes Lächeln auf Bohans Gesicht ausbreitete. Die Schwertschnitte auf seinem Körper und die Schrammen auf Armen und Beinen zeigten, daß er seine Freiheit teuer verkauft hatte, aber seine Kraft schien unverringert zu sein, als er ihre Umarmung mit knochenbrecherischer Stärke erwiderte.
»Da kommt jemand!« Shias warnender Gedanke hallte unüberhörbar in Aurians Kopf wider.
»Kümmere dich um ihn«, wies sie die Katze an. »Und bitte leise, wenn du kannst.«
»Mit Vergnügen!«
Einen kurzen Augenblick lang hörte man ein Schlurfen auf der anderen Seite des Durchgangs, dann war wieder alles ruhig. »Was war das?« erkundigte sich Yazour scharf.
»Der Dämon aus der Arena, der sich um eine von Xiangs Wachen gekümmert hat. Du solltest besser deine Männer warnen und ihnen erklären, daß sie auf unserer Seite ist.«
»Beim Schnitter!« murmelte Yazour mit weit aufgerissenen Augen.
Der Kampf im Wachraum war blutig, aber kurz. Aurian schickte zuerst Shia hinein, und die Katze wütete wie ein Wirbelwind aus Zähnen und Klauen unter Xiangs entsetzten Soldaten. Aurian folgte mit Yazour und seinen Männern, die sich schnell mit den Waffen der am Boden liegenden Leichen ausrüsteten. Dann bahnten sie sich ihren Weg durch die Flure des Palastes und strömten schließlich aus, um gnadenlos jeden Feind niederzumetzeln, der ihnen auf ihrem Weg entgegentrat. Es war lebenswichtig, daß niemand am Leben blieb, der Xiang warnen konnte. Schließlich erreichten sie die Hauptstockwerke und den langen Flur, der ins Audienzzimmer führte, wo sie auch herausfanden, warum sie bisher nur auf geringen Widerstand gestoßen waren. In dem Flur wimmelte es vor Wachen. »Xiang muß da drin sein«, flüsterte Yazour der Magusch ins Ohr, nachdem er einen kurzen Blick um die Ecke geworfen hatte.
»Und was jetzt? Da kommen wir niemals durch, ohne Alarm auszulösen«, stöhnte Aurian. Geschwächt wie sie war, war es kein Wunder, daß sie leicht zu entmutigen war. Das Blutvergießen der letzten Minuten hatte ihr übel zugesetzt, und der große, geschwungene Krummsäbel, mit dem sie sich bewaffnet hatte, erschien ihr schwierig und unhandlich nach den glatten, zweischneidigen Klingen, die man in ihrem eigenen Land bevorzugte. Es war keine Kleinigkeit, eine vollkommen neue Technik zu erlernen, wenn man gleichzeitig in Lebensgefahr war. Bohan zupfte nachdrücklich an ihrem Arm und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Aurian runzelte die Stirn und versuchte, seine Gesten zu verstehen. »Du meinst, es gibt einen anderen Weg da rein?« fragte sie ihn. Der Stumme nickte energisch.
»Natürlich!« murmelte Yazour. »Die Küchen. Ein Flur führt von dort aus in das Audienzzimmer, damit man dort leichter das Essen servieren kann.«
Schnell schmiedeten sie ihre Pläne. Aurian sollte mit Bohan, Shia und einer kleinen Gruppe Soldaten von hinten kommen und das Zimmer stürmen. Yazour und seine
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