Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
anderer Gefangenerspüren – einer ganz hübschen Zahl von ihnen –, die in den anderen Zellen eingeschlossen waren. Aurian hoffte zutiefst, daß es sich um Harihns Garde handelte, die man aus Sicherheitsgründen ebenfalls eingesperrt hatte.
Aurian schlich sich zur Tür ihrer Zelle. Statt sie einfach wegzublasen, was ihr im Augenblick nicht nur körperlich unmöglich war, sondern auch Xiangs Wachen zu ihr heruntergelockt hätte, verwandte sie ihre ganze restliche Kraft darauf, das Schloß zu beeinflussen. Sie tastete mit den Sinnen einer Heilerin nach den abgenutzten, steifen Bolzen, so wie sie in einer Wunde nach den Beschädigungen suchen würde. Aha! Hier ein wenig Druck – und dort –, die Magusch nahm ihren ganzen Willen zusammen und schob.
Das rostige Loch öffnete sich knirschend. Aurian erstarrte, und ihr Körper machte sich zum Kampf bereit. Hatte die Wache sie gehört? Offensichtlich nicht. Verachtung für seine Unaufmerksamkeit kämpfte kurz mit ihrer Erleichterung. Dann öffnete sie die Tür nur so weit, wie es notwendig war, um sich hindurchzuzwängen, damit die rostigen alten Angeln sie nicht mit ihrem Quietschen verrieten. Auf leisen Sohlen glitt Aurian durch den niedrigen, überwölbten Gang und mußte einen Augenblick lang ihre Sehnsucht nach ihrer Kriegskleidung unterdrücken. Dieses dünne Gewand würde im Kampf nicht nur hinderlich sein, sondern war außerdem auch vollkommen nutzlos gegenüber der schneidenden Kälte der Kerker, die bereits ihre Muskeln steif machte und sich bis in ihre Knochen hineinfraß.
Im gelben Fackellicht am Fuße der Treppe konnte Aurian das Profil der Wache sehen. Der Narr hatte den Blick von ihr abgewandt und schaute sehnsüchtig zu der Treppe hinüber, die in den warmen Wachraum führte, statt den Korridor im Auge zu behalten, den er eigentlich bewachen sollte. Aurians Arm schlang sich mit dem schnellen, tödlichen Würgegriff, den Maya ihr vor so langer Zeit beigebracht hatte, um seine Kehle. Aber sie hatte noch nie zuvor mit bloßen Händen getötet und schaffte es nicht, ihr Schaudern zu unterdrücken, als er lautlos zu Boden sank, seine Luftröhre zerdrückt und die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Die Magusch biß jedoch die Zähne zusammen und durchsuchte schnell den zuckenden Leichnam nach Schwert, Messern und Schlüsseln, wobei sie versuchte, dem anklagenden Blick dieser schrecklichen Augen auszuweichen. Dann rannte sie, so schnell sie konnte, durch den Korridor zurück zu Shias Zelle, maßlos erleichtert darüber, ihr grausiges Werk hinter sich lassen zu können.
Als Aurian die strammen Fesseln der großen Katze durchtrennte, explodierte Shia wie eine entfesselte Feder und fiel schwer zur Seite, denn ihre tauben Glieder weigerten sich, sie zu tragen. Aurian kniete nieder, um die kalten Beine und Pfoten zu reiben. Obwohl Flüche nicht zu dem geistigen Vokabular der Katze zu gehören schienen, war Shias Tirade leiser, zornig fauchender Laute einem Strom menschlicher Schmähungen so ähnlich, daß die Magusch lächeln mußte.
»Hör mir zu«, sagte sie zu ihrer Freundin, »sobald du wieder auf den Beinen bist, geh zur Treppe und bewache diesen Korridor. Warte dort auf mich, während ich die anderen Gefangenen befreie.«
»Diese Männer!« In Shias Augen flackerte ein wildes Leuchten auf.
»Nein, nicht diese Männer«, sagte Aurian fest. »Sobald ich die guten Männer befreit habe, werden wir uns um die schlechten kümmern, das verspreche ich dir.«
»Was für gute Männer?« schmollte Shia.
»Vertrau mir.« Mit einer kräftigen Umarmung schickte Aurian sie weg und ging selbst in die entgegengesetzte Richtung zu den anderen Zellen.
Ein leises, nervöses Stimmengewirr gab die Anwesenheit der Männer in der Zelle preis. »Wer ist da drin?« rief Aurian vorsichtig, und das Geräusch hinter der Tür verstummte auf der Stelle.
»Yazour, Hauptmann der Garde des Khisal. Und wer bist du?« Die Stimme war jung, aber fest und stark, trotz der Tatsache, daß ihr Besitzer eingesperrt war und auf die zweifelhafte Gnade seines grausamen Königs wartete.
»Lady Aurian, die Zauberin des Khisal«, flüsterte Aurian zurück. Bei ihren Worten erhob sich ein erschrockenes Murmeln unter den Männern in der Zelle, und sie hörte Yazour, wie er sie hastig zum Schweigen brachte.
»Lady, kannst du uns befreien? Seine Hoheit braucht dringend unsere Hilfe.«
Aurian öffnete die Tür, ohne weitere Zeit zu verschwenden, mußte jedoch ein wenig mit dem schweren Schloß
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