Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
wenn ich eine Geisel hätte, würden die anderen mir nichts tun.«
Gerade in diesem Augenblick tauchte eine turmhohe Gestalt aus der Dunkelheit auf. Rabe keuchte. Und sie hatte die beiden anderen schon für groß gehalten. Hinter ihm sah sie eine furchterregende Gestalt mit flammenden Augen. Rabe war nur allzu vertraut mit den wilden, großen Katzen, die auf der Nordseite ihres eigenen Gebirges lebten und einen ständigen Krieg mit ihrem Volk führten. Sie kreischte und versuchte wegzulaufen, aber der Mann zog sie wieder zu sich heran. »Es ist schon gut«, beruhigte er sie. »Shia ist eine Freundin, und sie kann mit uns sprechen.«
»Sie sagt, daß du wirklich allein gewesen bist, daß sie aber hier in der Nähe eine Art Lager mit einem kleinen Vorrat an Nahrung gefunden hat.« Die Frau kicherte. »Sie ist wütend, weil unser Bohan ihr nicht erlaubt hat, etwas davon zu essen. Aber jetzt mal ernsthaft: Ist das dein Lager? Wir haben alle schrecklichen Hunger.«
»Was ich habe, teile ich gern mit euch«, erbot sich Rabe, ängstlich darauf bedacht, irgendeine Geste der Freundschaft zu machen. »Ich habe einige Vögel gefangen, aber es gab nichts, um ein Feuer zu machen. Außerdem hat man mir nie beigebracht, zu kochen«, fügte sie offen hinzu, »also ist mein Hunger genausogroß wie eurer.«
Die Frau fing den Blick des Mannes auf und zuckte mit den Schultern. »Geh voran – und vielen Dank«, sagte sie.
Sie gingen durch die verlassene Stadt, wobei die große Frau ein wenig hinkte und sich auf den Arm des Mannes stützte. Sie stellten sich gegenseitig vor, obwohl sie alle zu sehr von dem Gedanken an etwas Eßbares in Anspruch genommen waren, um viel mehr als ihren Namen zu sagen. Rabe hatte ihr Lager in einem Gebäude aufgeschlagen, das aus einem einzigen großen Raum bestand, dessen Mauern aus trübblauem Kristall waren. Es gab keine Tür, die sie hätte schließen können, und keine Möbel oder sonst irgendwelche Zeichen, daß jemals jemand dort gelebt hatte, obwohl Regale und Nischen in die Wände geschnitten waren und ein Haufen verschiedener Edelsteine an einer der Wände aufgestapelt lag. Der beste Ausstattungsgegenstand in dem ganzen Raum befand sich in einer der Ecken: ein kleines, von einer Quelle gespeistes Wasserbecken, das die Aufmerksamkeit der durstigen Fremden eine beträchtliche Zeit in Anspruch nahm.
Rabe förderte vier recht ansehnliche Vögel zutage, die sie im Flug gefangen hatte – so wie sie es zu Hause oft zum Spaß getan hatte. Die Fremden kümmerten sich mit einer Sachkundigkeit um das Abendessen, die sie nur beneiden konnte. Die Männer – Anvar und der riesige Bohan – nahmen das Federvieh mit nach draußen, um es zu säubern, während Aurian, die große Frau, in dem Juwelenhaufen herumstöberte. Rabe stand vor einem Rätsel. Welchen Nutzen konnten Juwelen hier draußen schon haben? Dann traten ihr die Augen beinahe vor Erstaunen aus den Höhlen. Aurian wählte ein großes, flaches Kristallstück und legte es mitten auf den Fußboden. Dann setzte sie sich im Schneidersitz davor und hielt ihre Hände über den Stein, wobei sie ihre Augen vor Konzentration zu schmalen Schlitzen zusammenzog. Binnen wenigen Minuten glühte der Edelstein heiß und spendete ein warmes Licht, das die Wände ihres Zufluchtsorts behaglich flackern ließ. Rabe starrte sie mit tiefster Ungläubigkeit an; halb ängstlich, halb unfähig, ihr Glück zu begreifen. »Du bist eine Magusch?« flüsterte sie.
Aurian nickte kurz, denn sie war immer noch mit ihrer Aufgabe beschäftigt. Rabe griff nach ihrem Arm, und die Worte brachen aus ihr hervor, bevor sie sie hätte aufhalten können. Sie hatte nie die Absicht gehabt, zurückzugehen, aber … »Würdest du mir helfen? Mein Volk braucht dich dringend!«
Aurian seufzte. »Rabe, ich weiß nicht, ob wir das können. Wir sitzen hier selbst in der Falle, aber erzähl uns davon, während wir essen. Es muß sehr ernst sein, wenn es dich so ganz allein aus deiner Heimat vertrieben hat.«
Anvar und Bohan kehrten mit dem gerupften, gesäuberten und ausgenommenen Abendessen zurück, und die Magusch machte sich daran, die Vögel auf Schwertklingen zu spießen, um sie über dem feurigen Juwel zu braten. »Kann ich dir dabei helfen, dieses Ding da zu erhitzen?« fragte Anvar Aurian.
Sie schüttelte den Kopf. »Es kostet mich nur sehr wenig Mühe, denn der Kristall verstärkt meine Kraft. Die Drachenmagie hat ihre Vorteile.«
Während sie aßen, erzählte Rabe ihnen ihre
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