Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
ganz aus Gold war: die Wände, der Boden und die gewölbte Decke. In der Mitte befand sich ein gewaltiger, unordentlicher Haufen Gold und Juwelen, und darauf … Aurian mußte alle Kraft aufbieten, um nicht wegzulaufen. Zusammengerollt auf dem Juwelenberg und beleuchtet nur von einem einzigen Strahl weichen Sonnenlichts, der durch die Öffnung in der Spitze der Kuppel zu kommen schien, lag ein riesiger, goldener Drache.
Die Magusch zog ihr Schwert und machte einen Schritt zurück, wobei sie sich nach irgendeiner Möglichkeit zur Flucht umsah. Es gab keine. Abgesehen von der Öffnung in der hohen Decke hatte der Raum überhaupt keine Ausgänge. Aurian durchlebte ein oder zwei höchst unangenehme Augenblicke, bevor ihr auffiel, daß die Augen des Drachen geschlossen waren und daß er sich keinen Millimeter bewegt hatte, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Sie erinnerte sich an die heimtückische Zeitfalle. Die Drachen waren berühmt für ihre Schläue – war es möglich, daß dieser hier Schlaf vortäuschte, um sie näher heranzulocken?
Unsinn, sagte Aurian entschlossen zu sich selbst. Etwas von dieser Größe könnte dich binnen Sekunden fangen, wenn es sich die Mühe machen wollte. Dann blinzelte sie in das flackernde, goldene Licht und sah sich die reglose Kreatur genauer an; es widerstrebte ihr, näher heranzugehen, und erst nach einer ganzen Weile entdeckte sie den Grund für die Reglosigkeit des Drachens. Das goldene Leuchten seiner Schuppen machte es schwer, das bläuliche Funkeln zu erkennen, aber es war unzweifelhaft da. Jemand hatte ihn eingeschlossen – hatte ihn aus der Zeit genommen, und zwar mit demselben Zauber, den Finbarr ihr einst beigebracht hatte. Ihre Maguschneugier gewann die Oberhand, und Aurian schlich sich schließlich näher an das schlafende Ungetüm heran.
Es war schwer, keine Angst zu haben, obwohl sie wußte, daß der Drache hilflos war. Er war gigantisch – riesig genug, um problemlos die Große Halle der Akademie zu füllen, dachte Aurian. Aber es war wunderschön, dieses Wesen, mit der Sonne, die die eleganten Linien seines gewundenen Körpers hell erleuchtete. Es lag zusammengerollt wie eine schlafende Katze da, und sein schlanker, spitz zulaufender Schwanz hatte sich über seine furchterregenden Kiefer gelegt, während seine breiten Schwingen sich schützend über seinen Schatz gebreitet hatten. Diese Schwingen! Aurian war fasziniert. Sie waren gerippt wie die Flügel einer Fledermaus, aber zwischen den goldenen Streben erstreckte sich eine zerbrechliche, durchscheinende Membrane, die übersät war von dunkel schimmernden Schuppen und ein silbernes Netzwerk feiner Adern bildete – wie die dünnen Drähte, die um den Griff ihres Schwerts gewickelt waren. Die Magusch erinnerte sich daran, daß sowohl Yazour als auch Ithalasa ihr erzählt hatten, daß die Drachen sich ernährten, indem sie die Sonnenenergie direkt durch ihre Flügel in sich aufnahmen. Es sah so aus, als hätten sie wirklich recht gehabt.
»So, und was jetzt?« Ihre gemurmelten Worte klangen unanständig laut in der Stille des Raumes. Aurian kämpfte gegen ihre innere Überzeugung, daß die rätselhafte Macht sie aus einem bestimmten Grund hierher gelockt hatte: um nämlich das Dümmste zu tun, das sie jemals unternommen hatte. Sie war zweifellos mit voller Absicht hierhergeführt worden, aber ob zu ihrem eigenen Nutzen – das war eine andere Frage. Und doch, wenn sie den prachtvollen Drachen ansah, stieg unerwartet Mitgefühl in ihr auf. Das arme Ding, dachte sie. Wie lange war es wohl schon gefangen? Nun, ich hoffe nur, daß es mir dankbar sein wird. Dann trat sie einige Schritte zurück. In der Hoffnung, daß sie nun eine sichere Entfernung zu dem Drachen hatte, zog Aurian den Stab aus ihrem Gürtel und begann, den Zauber zu lösen.
Während sie das tat, durchflutete die Magusch das starke Gefühl, genau das Richtige zu tun – eine Zuversicht, die jedoch plötzlich verschwand und sie mit zitternden Knien zurückließ, als der Drache seinen Kopf hob. Riesige Facettenaugen, in denen schlafendes Feuer glomm, richteten sich mit unverwandtem Blick auf sie, so daß sie sich nicht mehr von der Stelle rühren konnte. Der Drache öffnete den Mund und zeigte Zähne, die wie geschwungene, funkelnde Schwerter aussahen – und Aurians Furcht verwandelte sich in reines Entzücken, als die Luft in dem Raum plötzlich von Licht und Musik zum Leben erweckt wurde. Wirbel reiner, immer wieder neuer Farben flossen durch
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