Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
schmerzende Stelle. Tränen der Erschöpfung und Enttäuschung traten ihr in die Augen.
Forrals Arme legten sich beruhigend um sie, seine große Hand knetete ihre verhärteten, schmerzenden Schultern- und Nackenmuskeln. »Mach dir nichts draus, Liebes«, sagte er sanft. »Ich weiß, daß es schwer ist, aber du kannst es dir einfach nicht erlauben, Fehler zu machen, die dich das Leben kosten können. Doch du machst Fortschritte. Du mußt eben allerhand verlorene Zeit aufholen, das ist alles. Wenn du jetzt so weitermachst, dann bist du bald wieder in der richtigen Kampfverfassung.«
Aurian lehnte sich an seine Brust und sog den Geruch seines Schweißes und des rauhen, vernarbten Leders seiner Fechtweste ein. Seine ermunternden Worte ließen ihr warm ums Herz werden, und sie war dankbar für die muskulösen Arme, die ihren müden Leib hielten. »Schön, Forral«, murmelte sie vertrauensvoll. Er gab ihr einen flüchtigen Kuß auf die Stirn, und bei dieser leichten Berührung tat Aurians Herz einen schwindelerregenden Sprung. Eine prickelnde Hitze fuhr durch ihren Körper. Schon wieder. Das passierte jetzt jedesmal, wenn er ihr nahekam. O Forral! Sie hatte ihn schon geliebt, als sie noch ein Kind war, aber die Veränderung in der Art dieser Liebe nach seiner Rückkehr machte sie ratlos und konfus. Sie hatte sich schließlich selbst eingestanden, daß sie inzwischen mehr wollte als die herzliche Kameradschaft, die sie immer verbunden hatte. Aurian schlang ihre Arme fester um seinen Hals und blickte ihm forschend ins Gesicht, unfähig, ihr Verlangen zu verbergen. Und wie jedesmal trafen sich ihre Blicke einen schmerzhaften Moment lang, bevor er sich rasch abwandte.
»Na mach schon«, sagte er barsch und ließ sie stehen. »Vannor kommt heute morgen, du weißt doch. Wir müssen uns wohl ein wenig frisch machen für seine hochnäsige Zicke.« Ohne sie anzuschauen, ließ er sie stehen und ging. Aurian spürte, wie ihr der Kummer den Hals zuschnürte, während sie ihr Schwert aufhob und ebenfalls die Arena verließ.
Vannor und seine Gemahlin waren schon eingetroffen und warteten in Forrals Räumen. Aurian mußte ihren Ärger unterdrücken, als die elegante junge Frau bei ihrem Anblick – immer noch in kampferprobter Lederweste und Fechthosen – unangenehm berührt die Nase rümpfte. Aurian hatte eine intensive Abneigung gegen Vannors zweite Frau entwickelt. Die schlanke, blonde Frau sah sich in Forrals holzgetäfeltem, einfachem Quartier mit einem gewissen Unbehagen um, als ekele sie sich, sich in so niedriger Umgebung aufhalten zu müssen. Mißmutig fragte sich Aurian, wie das Mädchen, das wesentlich kleiner war als Forral oder sie, es dennoch fertigbrachte, auf sie beide herabzusehen. Angesichts der Abfuhr, die ihr Forral soeben erteilt hatte, fand sie Vannors hingerissenen Gesichtsausdruck, wenn er seine Frau anstarrte, schwer zu ertragen.
Aurian mochte den offenen, rauhbeinigen Kaufmann gut leiden. Klein und untersetzt, mit kurzgeschorenem Haar und Bart, entsprach Vannor in seinem Äußeren genau dem, was er in seinem Innersten immer noch war – ein Bursche aus dem Hafen, der es zu etwas gebracht hatte. Seine rauhe Stimme hatte sich den Akzent der Hafenarbeiter erhalten, und er machte sich auch nicht die Mühe, daran etwas zu ändern. Aber sein rauhes Äußeres verbarg ein warmes, großzügiges Herz. Sara betete er schlichtweg an. Sie war prächtig gekleidet, trug pelzbesetzten Samt, ihr Haar war zu einem kunstvollen Knoten gebunden, und ihre Finger, Handgelenke und Ohren waren mit den Juwelen behangen, die er ihr geschenkt hatte. Sie wirkte makellos schön – bis auf ihren hochmütigen Gesichtsausdruck und den kalten, berechnenden Blick, der in ihre Augen kam, wann immer sie ihren Mann ansah.
Der Besuch Vannors, des Hauptes der Kaufmannsgilde, in der Garnison jetzt beim Sonnenwendfest war eine Geste der Höflichkeit dem neuen Kommandanten gegenüber. Der Erzmagusch, das dritte Mitglied des Regierenden Rates, wurde später erwartet. Es ging bei dem Treffen nicht besonders lebhaft zu. Vannor und Forral kamen immer gut miteinander aus, aber der sonst so gutmütig derbe und herzliche Kaufmann wirkte heute – in Gegenwart seiner Frau – gezwungen, und auch Forral war ungewöhnlich still, lachte wenig und runzelte des öfteren die Stirn. Aurian, an der der Liebeskummer nagte, überlegte, ob sie sich entschuldigen und zur Akademie zurückkehren sollte, als es an die Tür klopfte. Forral ging ins Vorzimmer, um zu
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