Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
erbaut worden. Obwohl sie das ganze Gewicht ihres Körpers einsetzte, schwang das schwere Türblatt aus Eichenholz in seinen geölten und ausbalancierten Angeln nur schwerfällig zu und fiel mit einem fast unhörbaren Klick ins Schloß. So seiner Wirkung beraubt, steigerte sich Saras Zorn nur um so mehr. Unter unflätigen Verwünschungen, wie sie einem Fischweib vom Hafen Ehre gemacht hätten, griff sie nach dem nächsten besten Gegenstand – einer weißen Porzellanvase mit Hyazinthen und Winterrosen – und schmetterte ihn gegen die Tür, die es gewagt hatte, ihrem Ärger zu trotzen.
Sie stöhnte auf; ihr Zorn wurde einen Augenblick lang überwältigt von dem Schrecken über die Verwüstung, die sie angerichtet hatte – die zerschmetterte Vase, eine Kerbe in der seidenglatten Vertäfelung der Tür, die abgebrochenen, verstreut umherliegenden Blüten und die Wasserlache, die sich auf den edlen Farben des dicken Teppichs ausbreiteten. Dann strafften sich ihre Schultern bockig. Dann war der Teppich eben ruiniert – na und? Dies alles hier gehörte ihr genausogut wie Vannor, und sie konnte damit machen, was sie wollte. Es geschähe ihm ganz recht, wenn sie ein kostbares Haus eigenhändig in Stücke schlug!
Aufs neue loderte der Zorn in ihr auf und ließ Sara ruhelos im Zimmer umherlaufen, ohne auf die Porzellansplitter und Blumen zu achten, die sie immer tiefer in den weichen Flaum des Teppichs trat. Wie hatte Vannor es wagen können, ihr Grobheit vorzuwerfen, sie zur Rede zu stellen, weil sie diesen ungehobelten Tölpel von einem Soldaten und diese wilde Vogelscheuche von einer Magusch brüsk hatte stehenlassen? Wie hatte er es wagen können, ihr so eine Standpauke zu halten – und zwar vor seinen vermaledeiten, grinsenden Kindern?
Aber der Gedanke an ihren Mann nahm Saras Aufsässigkeit etwas von ihrer Schärfe. Dies war ihr erster richtiger Streit gewesen. Während all der Monate, die sie jetzt verheiratet waren, hatte Vannor nie die Stimme gegen sie erhoben. Sie begriff plötzlich, wie dumm sie heute gewesen war – zu sorglos und zu siegessicher; zu sicher, daß sie Macht über ihn hatte. Sie würde sich wieder mit ihm vertragen müssen, und das so bald wie möglich. Er war ihre Sicherheit – ihr wunderbarer, neu erlangter Reichtum und Luxus – ihr Schutz gegen ihren Vater und das, was er ihr angetan hatte, gegen die Verwahrlosung und Armut und endlose, brutale Plackerei; gegen den Skandal, von einem stinkenden Wrack von einem Sklaven schwanger gewesen zu sein, der nicht besser war als ein Tier …
Während die Vision von Anvar vor ihrem geistigen Auge entstand, begann Sara zu zittern. Der Schock, ihn nach so langer Zeit so unerwartet wiederzusehen, der Schrecken, von ihm beim Namen genannt zu werden, hatten sie völlig um den Verstand gebracht. Sie hatte nur noch einen Gedanken gehabt – zu fliehen, soviel Abstand wie möglich zwischen sich selbst und dieses zerschlagene, schmutzige Lumpenbündel zu bringen, das sie mit Anvars Stimme angesprochen und sie mit diesen strahlend blauen Augen angefleht hatte.
Mit heftig zitternden Händen schloß Sara die zierliche Lackvitrine neben ihrem Bett auf und holte eine Kristallkaraffe hervor, die im winterlichen Licht des Zimmers in regenbogenfarbenen Prismen erstrahlte. Sie war ihr Trost und ihr Geheimnis. Ihre Zofe wurde gut dafür belohnt, dafür zu sorgen, daß die Flasche immer gut gefüllt war – und immer Stillschweigen darüber zu bewahren. In den Nächten, in denen Vannor ihr Bett aufsuchte – es waren die meisten –, schloß sie die Tür, wenn er fertig war und sie wieder verlassen hatte, und verbrachte lange Stunden damit, Wein zu trinken und all ihre Juwelen auf der weißen Bettdecke zu kleinen Bergen aufzuhäufen, die im Kerzenlicht warm funkelten.
O ihr Götter! Sie schenkte sich einen Kelch Wein ein, trank ihn aus und goß sich wieder ein. Ich würde alles darum geben, dachte sie, wenn es diesen Morgen nicht gegeben hätte. Zumindest wußte sie jetzt, was aus Anvar geworden war. Torl hatte einfach behauptet, er wäre verschwunden, und die meisten Leute glaubten, daß er wegen des Unfalls mit Ria davongelaufen wäre und Nexis für immer verlassen hätte. Ihre Eltern hatten natürlich geglaubt, daß er vor seiner Verantwortung für seinen Schatz und ihr gemeinsames ungeborenes Kind davonlaufe. Sara hatte es ebenfalls vorgezogen, sein Verschwinden in diesem Licht zu sehen; auf diese Weise hatte sie Vannors Werbung ohne jedes lästige Schuldgefühl
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