Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
erwarten? Aurian überlegte. Dankbarkeit? Sie lächelte über ihre eigene Dummheit. Wenn ich er wäre, entschied sie, würde ich mir wahrscheinlich auch nicht glauben.
Diesmal schaffte er es, die Brühe zu trinken, die sie ihm gab, und bald danach schlief er ein. Aurian mußte ebenfalls etwas zu sich nehmen, um die Energie zu ersetzen, die sie für das Heilen verausgabt hatte, und da sie auch die schwierige Aufgabe übernommen hatte, ihren Patienten sauber zu machen, brauchte sie nun dringend selbst ein Bad. Aber sie wartete noch eine Weile, beobachtete ihn, während er schlief, und versuchte, das an ihr nagende Gefühl loszuwerden, daß sie ihn schon einmal gesehen hatte. Hatte der Erzmagusch ihn Anvar genannt? Er war groß und breitschultrig, aber entsetzlich dünn. Gut, dagegen ließ sich etwas tun. Er sah jünger aus, als es zunächst den Anschein gehabt hatte; wahrscheinlich war er nicht viel älter als sie selbst. Sein Gesicht wirkte sogar im Schlaf melancholisch; mit feinen Linien zwischen den Brauen und um die Winkel seines Mundes. Sein Kinn wirkte fest, die Nase war etwas groß, und sein feines, bronzefarbenes Haar fiel ihm in Locken bis in den Nacken. Und diese Augen! Aurian hatte bei einem Sterblichen noch nie solche Augen gesehen.
Forral trat ein und bemerkte, daß Aurian ihren Patienten mit einem merkwürdig zarten Gesichtsausdruck betrachtete. Ein heftiger Anfall von Eifersucht überkam ihn. Was hatte es mit diesem verdammten Kerl auf sich, daß sie ihn so leidenschaftlich gegen den Erzmagusch und gegen ihn selbst verteidigt hatte?
Aurian blickte rasch auf, und ihre Miene umwölkte sich plötzlich. »Ich habe dich nicht hereinkommen hören.«
»Das habe ich gemerkt.« Er konnte den barschen Ton seiner Stimme nicht unterdrücken.
Aurian zuckte zusammen. »Forral, es tut mir leid, daß ich dir gegenüber die Beherrschung verloren habe. Ich bin wirklich dankbar für deine Hilfe …«
»Du hast das Herz eines Kriegers, dich so vehement dafür einzusetzen, woran du glaubst – und es selbst mit dem Erzmagusch aufzunehmen! Ich werde dir immer helfen, das weißt du, aber … Aurian, bist du sicher, daß das hier eine gute Idee war?«
»Forral, nicht noch einmal! Verstehst du nicht, daß ich kein Kind mehr bin?« Was sie meinte, war nur allzu klar. Sie klang so traurig, so wehmütig, daß er das Verlangen unterdrücken mußte, ihr zu sagen, daß er sie liebte – daß er sie genauso begehrte wie sie ihn. Forral nahm sich zusammen. Es war unmöglich. Es gab Gründe für das Verbot von Verhältnissen zwischen Magusch und Sterblichen – Gründe, die sie nicht bedacht hatte. Er mußte sie beschützen. Er wappnete sich gegen die Sehnsucht, die aus ihren Blicken sprach, und zwang sich, freundlich zu sein.
»Es tut mir leid, Liebes«, sagte er. »Ich habe mich schon um dich gekümmert, als du noch so ein kleiner Fratz warst, weißt du. Wir alten Leute vergessen meist, wie schnell unsere Schützlinge erwachsen werden.«
Sie schaute weg, und Forral wußte, daß sie vor ihm zu verbergen suchte, wie sehr sie das verletzte. Es gab ihm einen Stich ins Herz. Schnell verließ er das Zimmer und schloß die Tür hinter sich. An die glatte Vertäfelung gelehnt, fluchte er leise mehrere Minuten vor sich hin. Wie lange sollte das noch so gehen? Er hätte niemals zurückkommen dürfen! Und nachdem er sah, wie sich die Dinge entwickelten, hätte er sofort wieder gehen müssen. Er müßte jetzt gehen, aber … er konnte nicht. Er konnte sie nicht noch einmal verlassen. Mit einem Seufzer kehrte Forral Aurians Tür den Rücken und stapfte hinaus, um sich einen wirklich guten Schluck zu gönnen. Das war in diesen Tagen das einzige, was half.
10
Ein Schatten des Bösen
Nachdem Anvar als Lady Aurians Diener an die Akademie zurückgekehrt war, hatte sein Leben dort mit dem, was er zuvor durchgemacht hatte, nur noch wenig gemein. Er brauchte nicht länger die Quälereien der Küchenbediensteten zu ertragen, denn die persönlichen Diener der Magusch lebten vom übrigen Gesinde getrennt und unter ganz anderen Bedingungen. Elewin, der Haushofmeister, ein großer, hagerer, silberhaariger alter Mann mit sanften Gesichtszügen, herrschte mit eiserner Hand über die Dienerschaft des Hauses, aber er war peinlich gerecht und duldete keinen Klatsch unter seinen Untergebenen. Solange Anvar hart arbeitete und keine Schwierigkeiten machte, stand Elewin dafür ein, daß man ihn in Frieden ließ.
Er bekam eine Koje im Schlafsaal
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