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Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Titel: Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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zusammengekauert und frierend auf dem kalten Steinboden der Kammer hockte. Er versuchte, das Wüten des Sturms zu ignorieren und sich ins Bewußtsein zu rufen, daß er das Windauge der Xandim war – gesegnet (oder verflucht) mit der Macht, die Dinge sehen zu können, die jenseits der Sehkraft normaler Menschen lagen, die Kunde der Winde wahrzunehmen und zu verstehen. Dieser Sturm, das wußte er, trug mehr Botschaften mit sich als gewöhnlich. Die gequälte, schreiende Luft war erfüllt von bösen Vorzeichen schlimmer Ereignisse.
    Der Sturm zerrte an seinem durchnäßten, zitternden Leib, klebte ihm sein zerzaustes, braunes Haar aufs Gesicht, und der junge Seher zuckte zurück vor der bösen Macht, die den Wind ritt – wie ein Schatten dunkler Schwingen. Die Macht kam von Norden und hatte ihn seit dem Ausbruch des Winters in seinen Alpträumen heimgesucht. Schlanke, starke Finger hatte der Wind, Finger, die sich mit eiszapfenscharfen Nägeln in sein Fleisch gruben, und Augen, in denen die gnadenlose Kälte ewigen Winters lag, glitzerten in der Dunkelheit. Silbernes Haar floß wie ein tödlicher Gletscher herab, als die schneebeladenen Winde das Bild eines Gesichts formten: makellos schön, mit kalten, zu einem grausamen, höhnischen Lächeln verzogenen Lippen. Ihr Blick glitt über ihn hinweg, unbewußt und leidenschaftslos, aber qualvoll wie eine Klinge, die über seine zurückschaudernde Haut strich. Trotz des windgesponnenen Mantels aus Schatten, der ihn einhüllte, zitterte er. Wenn sie ihn fand …
    Chiamh kauerte sich auf der offenen Plattform zusammen und zog sich soweit wie möglich in die unauslotbaren Tiefen seines Schattenmantels zurück, bis der dunkel-helle Schatten ihrer Gegenwart sich jenseits des Berges entfernte. Heute abend würde es noch mehr davon geben, das wußte er. Irgend etwas hatte ihn aus seinem Bett gezwungen und an diesen einsamen, eiskalten Ort getrieben, hatte ihn gezwungen, sich dem Entsetzen des Vorüberstreichens der Schneekönigin zu stellen. Nun drehte das Windauge dem bösen Nordwind den Rücken, zu und richtete, wie das untere Ende einer Kompaßnadel unweigerlich nach Süden gezogen, seinen verschwommenen, kurzsichtigen Blick auf die Berge.
    Das Gefühl, sich in Kälte aufzulösen, überflutete ihn wie eine Woge eisigen Wassers. Chiamh spürte, wie seine kurzsichtigen, braunen Augen schmolzen, glasig wurden, sich in leuchtendes Quecksilber verwandelten, als seine Andersicht die Kontrolle übernahm. Die Nacht um ihn herum wurde hell und klar, die Berge verwandelten sich von der dichten, steinernen Masse in glitzernde, durchsichtige Prismen; die peitschenden Winde wurden zu stürmischen Flüssen aus silbernem Licht. Das Windauge hielt in Panik den Atem an und kniff seine trügerischen Augen fest zu. Obwohl er diese Fähigkeit seit seiner Kindheit besaß, würde er sich niemals an diese beängstigende Verwandlung gewöhnen.
    Die Verlockung der Vision trieb ihn weiter, verlangte, daß er ihr folgte. Chiamh biß sich auf die Lippen und bestach seine undisziplinierte Angst mit dem Versprechen eines Kruges Wein, sobald er von diesem schrecklichen Ort zurückgekehrt war. Ihm war, als höre er die Stimme seine geliebten Großmutter aus der Vergangenheit zu ihm sprechen: » Iß dein Fleisch, Chiamh – dann bekommst du auch die Honigwabe !« Wie immer nahm ihm die Erinnerung an sie ein wenig von seiner Furcht, und Chiamh lächelte. Was für eine wilde, alte Dame sie gewesen war. Wie weise! Wie stark! Eine geborene Kriegerin und das größte Windauge in der Geschichte der Xandim. Sie hatte diese Last getragen, ohne mit der Wimper zu zucken, und nun war es an ihm, ihrem Erben, sie zu tragen. Chiamh strich mit vor Kälte steifen Fingern das Haar aus dem Gesicht, öffnete die Augen und richtete den durchdringenden Silberstrahl seiner Andersicht auf die andere Seite der Berge.
    Nachdem er seinen erdgebundenen Körper abgestoßen hatte, riß sein Geist sich los, schwang sich empor und ritt auf dem ungebärdigen Wind, um seine Vision zu verfolgen. Wie ein Regenbogen aus Edelsteinen wirbelten die durchsichtigen Berge unter ihm dahin. Die Funken eines prasselnden Freudenfeuers brannten ihm in den Augen, jeder Funke wie eine strahlende, lebende Seele. O Göttin – das mußte Aerillia sein, die Zitadelle des Himmelsvolks. Er war zu weit von seinem Weg abgekommen … Außer Kontrolle … Weit über die Berge hinaus bis zu dem kristallenen Spitzenwerk des Waldes dahinter, mit seinem funkelnden

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