Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Titel: Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
Vom Netzwerk:
daß die Morgendämmerung herannahte. Also unterdrückte das junge Windauge seine Zweifel und kletterte mit steifen Gliedern den Turm hinunter. Während seine Andersicht langsam verblaßte und seine eigene Kurzsichtigkeit zurückkehrte, stolperte Chiamh fast über seine eigenen Füße und schürfte sich dabei schmerzhaft die Haut auf. Ein oder zwei Meter über dem Erdboden verlor er den Halt und landete, außer Atem und mit blauen Flecken, auf einem Haufen Schotter. Ohne abzuwarten, bis sein Atem wieder ruhiger ging, raffte er sich auf und stürmte das Tal hinunter, taumelte und stolperte und stand wieder auf, nur um erneut über Steine und Wurzeln zu fallen und auf den Schneewehen auszugleiten, die der Wind aufgehäuft hatte. Aber er ging immer weiter, angetrieben von tiefster Entschlossenheit. Er mußte den hellen Mächten helfen. Er mußte rechtzeitig ankommen, um die Fremden zu retten. Während die vergessenen Fetzen seines Schneemantels hinter ihm herflatterten, rannte Chiamh, wie er es noch nie zuvor gewagt hatte zu rennen.
    Das Windauge passierte am anderen Ende des Tals die hohen Steine, die den Ausgang des Waldes bildeten. Das weiche, einladende Gras des Plateaus war eine süße Verlockung, und er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Nun mußte er sich keine Sorgen mehr darüber machen, daß er sich auf dem unebenen Boden ein Bein brechen könnte – auf dem Plateau konnte er sich endlich frei bewegen. Chiamh blieb im Schatten der großen Steine stehen und sammelte sich, um sein Bewußtsein nach innen zu richten. Dann – veränderte er sich.
    Für einen Beobachter, das wußte, er, hätte die Verwandlung nur Sekunden gedauert. Für Chiamh schien die Zeit sich in die Länge zu ziehen, genauso wie es sein Körper tat; seine Knochen und Muskeln nahmen eine prickelnde Biegsamkeit an, während sie länger wurden, dicker und stärker. Es war ein Augenblick nebelhafter Verwirrung, ebensowenig wahrnehmbar wie der Moment zwischen Wachen und Schlafen – und im Windschatten der Bäume, die einen Augenblick zuvor noch einen jungen Mann verborgen hatten, stand plötzlich ein rotbraunes Pferd mit zotteliger Mähne.
    Chiamh stampfte auf den Boden und genoß die Kraft seine Pferdeleibs, den Reichtum der Düfte, der um ihn herumwirbelte. Er stellte seine Ohren auf, lauschte dem Zischen des Windes über das schneebedeckte Gras des Plateaus und dem Knirschen der Zweige weiter hinten im Wald. Sein Augenlicht blieb unglücklicherweise auch in seiner Andergestalt unverändert schlecht – es hatte weniger räumliche Tiefe, dafür einen größeren Gesichtskreis als der eines Menschen, aber er sah die Dinge genauso verschwommen wie immer. In seiner Pferdegestalt hatte er jedoch zumindest andere Sinne, die diesen Mangel in gewissem Maße ausgleichen konnten.
    Hör auf zu träumen, schnaubte Chiamh angewidert. Das war das Schlimme an dieser Gestalt – man hatte die Neigung, wie ein Pferd zu denken, und je länger man sich dem aussetzte, um so größer war das Risiko, jeden Rest menschlicher Intelligenz einzubüßen. Aber genug. Die Zeit raste. Am anderen Ende der Ebene würde er sich wieder zurückverwandeln müssen, um den steilen Klippenweg erklimmen zu können, aber in der Zwischenzeit war es die Sache wert – sowohl wegen der Zeitersparnis als auch wegen der reinen, jubilierenden Freude des Galopps. Mit einem leichten Schlag seiner Hufe stob das Windauge davon und flog mit dem Wind über das Plateau.
     
    In den Ländern des Nordens, jedoch an einem Ort, der unerreichbar war in den Grenzen der menschlichen Welt, lag der Palast des Waldfürsten mit seinen baumartigen Türmen und unzähligen Gärten und Lichtungen. Trügerisch ruhig lag er in abwartender Stille auf einem weiten Hügel. Am schroffen Hang der Anhöhe befand sich ein von Farnkraut umstandener, kristallener Teich, der gespeist wurde von einem silbernen, hauchzarten, plätschernden Wasserstrom aus einem weiter oben gelegenen Felsvorsprung.
    Am Ufer des Teichs saß die Lady vom See und kämmte sich die silberdurchzogenen Strähnen ihres langen, braunen Haares. Aus dem Dickicht auf der anderen Seite des Teiches beobachtete sie ein großer Hirsch; unbemerkt, so glaubte er, und unerkannt – bis die Erdmagusch ihm den Blick entgegenhob und lächelte. »Ziehst du diese Gestalt vor, mein Fürst?« Ihre Stimme war tief und musikalisch. Hellorin trat verärgert vor und nahm wieder seine prachtvolle Menschengestalt an. Nur die sich verästelnden Schatten des großen

Weitere Kostenlose Bücher