Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
mit dem entschlossensten Gedankenton, den sie zuwege bringen konnte. »Denn keiner von euch beiden wird mit mir kommen.«
»Was?« Hreeza sah wie vom Donner gerührt aus.
»Du hast mich gehört.« Für den Bruchteil einer Sekunde erhaschte Khanu einen Blick auf den harten und entschlossenen Willen, der Shia zur Führerin und schließlich zur Legende in ihrem Volk gemacht hatte. Hreeza war jedoch weit weniger leicht zu beeindrucken. »Ach, tatsächlich?« Der Schwanz der alten Katze zuckte verärgert hin und her. »Und ich sage, daß ich mit dir kommen werde. Wenn du mich aufhalten willst, mach dich auf einen Kampf gefaßt!«
Shias königliche Pose brach urplötzlich zusammen. Zu Khanus Erstaunen seufzte sie und legte ihren Kopf auf ihre Pfoten. »Hreeza, ich könnte im Augenblick nicht einmal gegen einen Schneehasen kämpfen, wie du sehr gut weißt. Aber du solltest dir anhören, was ich vorhabe, bevor du deinen Entschluß triffst.« Sie holte tief Luft. »Ich gehe nach Aerillia, mit dem Stab der Erde, um das Leben eines Menschen zu retten und um es mit unseren alten Feinden, den Geflügelten, aufzunehmen.«
Es war, als wäre ein Donnerschlag in die Erde zwischen ihnen gefahren. In dem erschütterten Schweigen, das folgte, konnte Khanu, dessen Verstand von Entsetzen wie gelähmt war, nur daran denken, daß Shia während ihrer langen Verbannung verrückt geworden sein mußte. Den unbezwingbaren Aerilliagipfel erklimmen? Sich allein in die Festung ihrer erbittertsten und tödlichsten Feinde wagen? Und das alles, um einem Menschen zu helfen?
Er sah, wie Hreeza sich mit der Pfote übers Gesicht fuhr, als hätte Shia sie geschlagen. Ausnahmsweise war die alte Katze einmal tatsächlich sprachlos, und Khanu bemerkte mit Entsetzen den Schatten eines Zweifels in ihren Augen – sie, die immer Shias treueste Anhängerin gewesen war. Irgendwie bestärkte das Zögern der alten Katze ihn in seinem Entschluß.
Er holte gierig den Atemzug nach, den er in seiner Erregung vergessen hatte. »Ich gehe mir dir, Shia. Diese geflügelten Monster haben meine Geschwister getötet; die Sache interessiert mich also auch.« Khanu zuckte mit den Schnurrbarthaaren und verzog sein Gesicht zu einem Katzengrinsen. »Ich wollte immer schon mal wissen, wie Himmelsleute schmecken.«
»Du wirst nicht nach Aerillia gehen, du närrisches Baby! Und Shia wird das auch nicht tun.« Die Worte explodierten in einer blutroten Woge des Zorns aus Hreezas Gedanken heraus. »Aerillia! Menschen! Noch nie in meinem Leben habe ich so etwas absolut Verrücktes gehört. Ihr werdet nicht einmal durch das Vorgebirge des Aerilliagipfels gelangen. Ihr geht nicht! Lieber bringe ich euch um!«
Shia schlug unruhig mit dem Schwanz auf den Boden.
»Dann wirst du mich wohl töten müssen, Hreeza«, sagte sie gelassen, »aber warum willst du dir die Mühe überhaupt machen? Wie du schon sagtest, die Geflügelten werden wahrscheinlich genau das tun. Warum willst du also dein Gewissen belasten, wenn du es genausogut den Himmelsleuten überlassen kannst, die Verantwortung für meinen Tod zu übernehmen?«
Hreeza wich verletzt und betroffen zurück. »Ich wünschte nur, ich könnte dich verstehen«, brauste sie auf. »Was hat es mit dem Stab der Erde auf sich? Wer ist dieser Mensch, daß du dein Leben für ihn aufs Spiel setzt? Das Leben im Exil hat dich verändert, Shia. Was ist mit dir passiert in der Zeit, in der du von zu Hause weg warst?«
»Ich werde es dir erklären, meine liebe Freundin, während wir uns ausruhen und essen, denn so müde wir auch sein mögen, essen müssen wir trotzdem. Wenn du also genug Energie hast, um gegen mich zu kämpfen, wäre diese Energie viel sinnvoller angebracht, wenn du uns etwas zu essen suchen würdest.« Ihre Augen zwinkerten boshaft. »Das heißt, wenn du das noch immer kannst, Alte!«
»Ha!« sagte Hreeza unbeeindruckt. »Ich werde mehr zu essen finden als du; ich, die ich schon gejagt habe, als du noch nicht einmal auf der Welt warst!« Die alte Katze krauste ihre Nase und öffnete die Lippen, um die Luft zu schmecken. »Wir müssen uns beeilen. Der Schnee wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.« Mit diesen Worten drehte sie sich zu Khanu um. »Und du, Kleiner, solltest am besten mit uns kommen – falls du wirklich den Wunsch hast, das Jagen zu lernen.«
Während die Katzen sich durch die dichten Baumreihen schlichen, übernahm Hreeza stillschweigen die Führung. Khanu, der das Beste aus dieser Gelegenheit machen
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