Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
sie das schauerliche, pulsierende Glühen des Erdenstabs sahen, den Shia bei sich trug. Ich könnte gut auf das Ganze hier verzichten, dachte Shia müde. Dann legte sie ihre Last hastig Hreeza zu Füßen nieder. »Paß bitte für mich darauf auf«, sagte sie leise.
Hreeza musterte den Stab mit einem mißbilligenden Blick. »Ich werde ihn für dich bewachen, solange ich das gräßliche Ding nicht anfassen muß.«
Dann war Gristheena da. Die Erste stolzierte in die Mitte des Kraters, durchtrainiert und muskulös und so schwer und grobknochig wie ein Männchen. Shia erinnerte sich daran, daß die jüngere Katze selbst als kleines Kätzchen eine brutale Angeberin gewesen war – mit wenig Achtung für andere und sogar noch weniger Selbstbeherrschung. Hreezas Worten zufolge hatte sich darin nichts geändert.
Als die Herausforderin und Chueva wäre es an Shia gewesen, als erste zu sprechen. Statt dessen bewahrte sie stures Schweigen und wandte ihre Augen keine Sekunde lang von der hoch aufragenden Gestalt der Ersten ab; ohne zu schwanken, hielt sie Gristheenas wütendem Blick stand. Lange Minuten vergingen. Der Boden des felsigen Beckens versank in immer tiefere Dunkelheit. Die beiden großen Weibchen standen mit aufgestelltem Nackenhaar Auge in Auge einander gegenüber und funkelten sich an wie Raubvögel.
Wie Shia erwartet hatte, war Gristheena die erste, die schwach wurde. »Chueva!« Voller Verachtung stieß sie zuerst nur dieses eine Wort hervor. Dann fuhr sie fort: »Du gehörst nicht hierher; dies ist das Land und das Heim der Kolonie! Kämpfe nun, oder scher dich fort!«
Shia mußte innerlich lachen. Dadurch, daß sie das Schweigen gebrochen hatte, hatte Gristheena ihr Gesicht verloren – und alle hatten es mitangesehen. Shia ignorierte die hochmütige Katze, als wäre eine Beachtung dieser Ersten weit unter ihrer Würde. Statt dessen hob sie den Kopf und sprach ihre unsichtbaren Zuschauer an. »Ich bin nicht hierhergekommen, um zu kämpfen«, sagte sie, »und ich bin keine Chueva, denn ich wurde nie aus der Kolonie verstoßen. Alle von euch, bis auf vielleicht die Jüngsten, kennen mich. Ich bin Shia, das Erste Weibchen, zurückgekehrt von den Toten.«
»Spar dir deine Worte, Chueva, und kämpfe endlich!« Gristheena setzte zum Sprung an. Shia versuchte, ihr auszuweichen, aber ihr geschwächter Körper ließ sie im Stich. Die andere Katze prallte hart auf sie auf, und gemeinsam rollten sie über den Boden, attackierten sich fauchend mit den Klauen und bissen einander. Kleine Fellfetzen flogen durch die Luft wie schwarze Distelwolle, aber keine der beiden Katzen konnte über die andere die Oberhand gewinnen. Sie stoben auseinander und umkreisten sich, schlichen sich an, mit halb geschlossenen Augen, aufgestelltem Fell und hin- und herzuckendem Schwanz. Shias Flanke blutete dort, wo die andere Katze ihr die Klauen in den Leib geschlagen hatte, die Wunde brannte abscheulich. Gristheenas Nase hatte ebenfalls etwas abbekommen; sie nieste und stieß dabei einen feinen, blutigen Nebel aus. Einen Augenblick lang schloß sie die Augen – eine Chance, die Shia sofort nutzte. Links und rechts schlug sie ihr mit der Tatze ins Gesicht und riß ihr dabei fast ein Ohr ab. Fauchend und mit zu einer Dämonenmaske verzogenem Gesicht hob Gristheena drohend eine Pfote und heulte auf; ein schrilles Wehklagen, das aus den Tiefen ihrer Kehle emporstieg.
Shia holte tief Luft, denn sie rechnete damit, daß die schwerere Katze sich auf sie stürzen würde, aber Gristheena war jetzt vorsichtiger geworden. Lauernd umkreisten sie einander von neuem.
»Hör zu, du Närrin«, sagte Shia. »Das hier ist überhaupt nicht nötig. Hättest du mir nur einen Augenblick lang zugehört … Gristheena, ich habe gar nicht die Absicht, wieder Erste zu sein. Mein Weg führt an einen anderen Ort …«
»An einen anderen Ort, wahrhaftig«, zischte Gristheena. »Nämlich ins Nichts, Chueva, wenn es nach mir geht!«
Wieder setzte sie zum Sprung an. Shia hatte keine Zeit, ihr auszuweichen, und sie prallten heftig gegeneinander. Gristheenas größeres Gewicht warf Shia zu Boden. Shia, die sich kaum noch bewegen konnte, spürte heißen, feuchten Atem auf ihrem Hals, während die andere versuchte, die Reißzähne in ihre Kehle zu schlagen, aber Gristheena hatte eine Kleinigkeit übersehen. Keuchend bohrte Shia ihre hinteren Krallen in das weiche Bauchfleisch der jüngeren Katze, um sie von sich herunterzureißen, aber Gristheena war bereits
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