Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
verwüstete westliche Seite des Bergs übersäten; sie rannten, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt waren, und die Horde der Weibchen wogte wutschnaubend hinter ihnen her.
Hreeza taumelte noch einige letzte, qualvolle Schritte auf den Gipfel des Bergs hinauf und ließ ihre scharfen Augen dann über die zerklüfteten Hänge gleiten, die sie gerade eben unter so großen Schwierigkeiten erklommen hatten. »Ich glaube, wir haben sie endlich abgeschüttelt«, keuchte sie.
Khanu sagte nichts, sondern blieb einfach nur unter den vom Wind gebeugten Pinien stehen, die den Berg krönten, und gestattete seinen schmerzenden Gliedern mit einem dankbaren Seufzer, unter ihm zusammenzubrechen. Hoffnungsvoll blickte er zu Shia hinüber, deren Kiefer sich mit einem tödlichen Griff um dieses glühende Ding klammerten, das sie Hreeza am ersten Tag ihrer Flucht abgenommen hatte und seitdem im Maul trug. Khanu wußte, daß nichts als reine Willenskraft sie überhaupt so weit gebracht hatte.
Shia stieß einen tief empfundenen Seufzer der Erleichterung aus, als sie Hreezas Worte hörte. »Das hoffe ich wirklich«, murmelte sie. »Ich kann nämlich nicht mehr.« Sie sah aus wie der leibhaftige Tod, und der alten Hreeza ging es kaum besser. Khanu, der als Männchen nie in seinem Leben gejagt hatte, war solche Anstrengungen nicht gewöhnt und mußte sich eingestehen, daß auch er in einem beklagenswerten Zustand war.
Einen Tag und eine Nacht lang hatten die wutentbrannten Katzen der Kolonie die Flüchtlinge gnadenlos über die verwüsteten Hänge von Stahlklaue verfolgt und weiter durch die Schluchten und Pässe, die zwischen den Gipfeln im Westen verliefen, wo die drei Flüchtlinge ihr Bestes getan hatten, um sich unterhalb der Schneegrenze zu halten, damit sie keine Spuren hinterließen, denen ihre Jäger hätten folgen können. Mit dem Anbruch des Tageslichts hatten sie ihren Klettermarsch fortgesetzt und waren in Gebiete eingedrungen, von denen Khanu nicht das geringste wußte. Über ihnen ragte ein neuer Berg auf; eine beunruhigend fremdartige Gestalt, ganz anders als die des vertrauten Bergs, den Khanu sein ganzes Leben lang gekannt hatte. Außerdem hatten dicke, graue Schneewolken den Gipfel eingehüllt, Wolken, die jetzt wie gewaltige Felsbrocken auf ihn zuzurollen schienen.
Khanu hatte sich als Folge seiner Verbitterung gegenüber Gristheena, die ihn so gedemütigt hatte, in den Kampf der Königinnen eingemischt. Aber das war es nicht allein gewesen. Auch seine Ehrfurcht und sein Respekt für die legendäre Shia und ihre tapfere hoffnungslose Herausforderung hatten ihn dazu getrieben – und nicht zuletzt der verzweifelte Wunsch, sich selbst zu beweisen. Keinen Augenblick lang hatte er innegehalten, um darüber nachzudenken, daß sein impulsives Verhalten ihn seine Zukunft in der Kolonie kosten würde. Nun war auch er zum Chueva geworden. Der Gedanke daran ließ ihn erzittern.
»Ich werde nicht darüber nachdenken. Nicht ausgerechnet jetzt«, murmelte Khanu. Dann schüttelte er seine schwere, dunkle Mähne, als wolle er die erschreckenden Gedanken von sich abschütteln. »Bist du sicher, daß sie uns aus den Augen verloren haben?« fragte er Hreeza, die ihn mit einem furchterregenden Blick zum Schweigen brachte.
»Würde ich sonst Pause machen?« brauste sie auf. »Behalte deine törichten Kätzchenfragen für dich, Kindskopf!« Ihre Augen blitzten vor Zorn. »Warum bist du uns gefolgt?«
Khanu hatte Verstand genug, zu begreifen, daß Hunger und Müdigkeit Hreeza reizbar gemacht hatten, aber er selbst war ebenfalls erschöpft, und die Arroganz der alten Katze ärgerte ihn. Er hob den Kopf und erwiderte ihren Blick. » Ich bin mit euch gekommen , weil das mein Wunsch war. Ich bin wegen Shia mitgekommen, weil ich ihr helfen will.«
»Du willst ihr helfen?« höhnte Hreeza. »Du? Ein Männchen? Welchen Nutzen könntest du denn für uns haben? Shia verspürt nicht den geringsten Wunsch, sich zu paaren; sie hat weiß Gott wichtigere Dinge im Kopf. Warum sollten wir uns mit dir belasten? Du kannst ja nicht mal jagen!«
Khanu biß die Zähne zusammen und unterdrückte ein Fauchen. »Ich kann es lernen«, zischte er.
»Ha!« Hreeza machte keinen Hehl aus ihrer Verachtung.
»Seid still, alle beide!« Mit großer Mühe gelang es Shia, ihr geschwollenes Maul von dem Stab zu lösen. Nachdem sie das Artefakt zu Boden gelegt hatte, blickte sie von Khanu zu Hreeza. »Es hat gar keinen Sinn, daß ihr euch streitet«, sagte sie
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