Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
Eisen. Eine winzige Flamme flackerte wie eine Blume am Ende einer Fackel auf und erglühte so weit, daß sie schließlich Schiannaths schmutziges und wächsernes Gesicht beleuchtete. Der Xandim klemmte die Fackel in einen Riß im Felsen und taumelte zu Yazour hinüber, wobei er auf dem schlammigen Boden beinahe ausrutschte.
»Du Narr! Du warst noch nicht soweit.« Schiannath half dem zitternden Krieger, sich aufzurichten. »Bist du schlimm verletzt?«
Yazour wandte den Kopf von dem Xandim ab und schluchzte, als wolle ihm das Herz brechen.
Schiannath brauchte eine ganze Weile, um die Ordnung in der verwüsteten Höhle wiederherzustellen. Yazour, eingehüllt in trockene Wolfsfelle, nippte an einem der Schmerzlinderungstränke des Xandim und konnte nichts tun, um ihm zu helfen. Der junge Krieger verging fast vor Demütigung und fühlte sich so elend wie noch nie zuvor in seinem Leben. Welchen Nutzen hatte er denn noch, verkrüppelt wie er war? Er war sogar für den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte, nur eine Last und Plage. Da er nicht wußte, was er sagen sollte, wich er Schiannaths Blick aus.
Schließlich spürte er eine sanfte Berührung auf seiner Schulter. Als er sich umsah, bemerkte Yazour, daß der Boden wieder gesäubert war und daß das neu errichtete Feuer munter brannte. In der Nähe schmolz eine neue Schale Schnee, daneben blubberte in einem Topf etwas Suppe, die von ihrer letzten Mahlzeit übriggeblieben war. Schiannath saß abgekämpft und müde neben ihm und hielt ihm eine Tasse mit der kräftigenden, dampfenden Flüssigkeit hin. »Komm«, sagte der Xandim sanft. »Reden. Was ist so wichtig, daß du zu früh aufstehen mußt?«
Yazour holte tief Luft. »Meine Freunde im Turm«, sagte er. »Sie sind vielleicht verletzt oder sogar tot. Ich muß es wissen.«
Schiannath nickte ernst. »Ich verstehe deine Qualen. Ich hätte früher daran denken sollen. Aber warum hast du denn nichts gesagt? Beruhige dich, Yazour. Ich werde selbst hingehen, morgen abend, und dir Neuigkeiten von deinen Freunden bringen.«
»Na, na, laß mich das tragen«, sagte Jharav. Erleichtert übergab Nereni ihm den schweren Korb, den sie aus Weiden geflochten hatte, die eben derselbe Mann am Rande des kleines Wäldchens für sie gesammelt hatte.
Von allen Soldaten Harihns war Jharav, der mittlerweile zum Hauptmann der Truppe aufgestiegen war, der freundlichste und hilfsbereiteste. Er sorgte dafür, daß sie und Aurian immer genug Feuerholz hatten, und er war es auch, der eine Schale Schnee nach der anderen schmolz, damit sie baden konnten. Nereni war mittlerweile sicher, daß sein Gewissen ihm schwer zu schaffen machte. Zuerst hatte sie Jharav genauso verachtet wie den Rest von Harihns Männern, aber während die Tage ihrer Gefangenschaft vergingen, hatte sich ihr Widerwille gegen den stämmigen, ergrauten Soldaten langsam aufgelöst, bis sie ihn nicht mehr in demselben Licht sah wie die übrigen Soldaten des Prinzen. Jharav war ein anständiger Mann, und Nereni vermutete, daß er sich mit aller Kraft hinter Aurian gestellt hatte, als diese beharrlich verlangte, daß man Nereni erlaubte, sich um Eliizar und Bohan zu kümmern. Vor vier Tagen hatte Harihn dann endlich nachgegeben, und die tägliche Begegnung mit ihrem Mann war ein kleiner Trost für Nereni. Sie hatte das Gefühl, daß sie Jharav Dank schuldete.
Jharav hob den Korb hoch, als lägen nur Federn darin, und betrachtete ihr Werk voller Wohlwollen. »Das ist ein schönes Stück Arbeit«, sagte er zu ihr. »Dein Mann weiß deine vielen Fähigkeiten bestimmt zu schätzen.«
»Mein Mann wird es noch mehr zu schätzen wissen, wenn er diesen Eintopf nicht kalt essen muß!« schimpfte Nereni. Freundlichkeit war eine Sache, aber dies hier grenzte schon an Tändelei. Die kleine Frau war atemlos vor Empörung. Also wirklich, dieser Mann hatte eine Ehefrau zu Hause!
Jharav kicherte. »Betrachte mich als geschlagen, Herrin.« Er klang jedoch keineswegs niedergeschlagen, und er beeilte sich, ihren Ellbogen zu nehmen und ihr zu helfen, die schlüpfrigen, schmalen Stufen hinunterzuklettern, die zu dem Tor des Turms führten.
Die eisenbeschlagene Tür öffnet sich langsam mit einem Quietschen, und eine bleiche, zerlumpte Gestalt erhob sich von einem Haufen Pelze in der Ecke – wie eine Ratte, die aus ihrem Loch auftaucht. »Eliizar!« Nereni flog über den schmutzigen Fußboden, um ihren Mann in die Arme zu nehmen. Wieder einmal drehte sich ihr das Herz im Leibe herum, als
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