Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
sie die scharfen Kanten seiner Rippen unter seinem zerlumpten Hemd spürte. »Aber er erholt sich langsam«, sagte sie sich fest. »Mit jedem Tag, seit ich ihn besuchen darf, ist es mit seinen Wunden ein wenig besser geworden.«
»Nereni, geht es dir gut?« Eliizar hielt sie um Armeslänge von sich und spähte ihr ängstlich ins Gesicht. Obwohl sie am liebsten ihren Kopf an seiner Schulter geborgen und geweint hätte, zwang Nereni sich um seinetwillen, tapfer zu sein.
»Mir geht es gut, mein Liebster.« Irgendwo tief in sich verborgen fand sie ein Lächeln. »Und Aurian geht es auch gut, und sie wird von Tag zu Tag dicker!«
Sie wußte, was er als nächstes fragen würde, und fürchtete die Frage. Warum mußte er sich so sehr quälen?
»Gibt es etwas Neues von Yazour?« wollte der Schwertmeister mit leiser Stimme wissen. Nereni schüttelte den Kopf, denn beim Anblick des Schmerzes auf seinem Gesicht konnte sie ihrer Stimme nicht trauen. Er hatte Yazour wie einen Sohn geliebt. Beim Schnitter, es zerriß Nereni das Herz, ihn in so tiefem Kummer zu sehen.
»Komm«, sagte sie entschlossen. Dann griff sie nach seinem Arm und führte ihn zu seinem Nest aus Pelzen. »Komm, Eliizar, iß etwas Eintopf.«
Während Nereni sich Eliizars Wunde ansah – einen langen, schmalen Schnitt quer über die Muskeln seines Bauchs – und Salbe auftrug und frische Verbände anlegte, dankte sie dem Schnitter für die Felle. Dann holte sie Teller, Löffel und die zugedeckte Schale mit Eintopf aus dem Korb und dachte darüber nach, daß diese Pelze den beiden Männern in dem feuchten, eiskalten Kerker wahrscheinlich das Leben gerettet hatten. Die Geflügelten harten die Felle zwei oder drei Tage nach ihrer Gefangennahme hierhergebracht, nachdem Nereni sich bei dem Prinzen darüber beklagt hatte, daß das Turmzimmer zu kalt für Aurian war. Aber als die dunklen, herrlichen Pelze angekommen waren, war Nerenis Blut zu Eis erstarrt, und sie wünschte, sie hätte nie gesprochen. Das hier waren die Felle von großen Katzen, so wie Shia eine war! Sie hatte zu verhindert versucht, daß die junge Magusch sie zu Gesicht bekam, aber es war bereits zu spät gewesen.
Aurian hatte einen so furchtbaren Wutanfall gehabt, daß Nereni schon fürchtete, die Wehen würden auf der Stelle einsetzen. Obwohl Aurian mit nichts als ihren bloßen Händen bewaffnet war, hatte sie sich mit solcher Gewalt auf Harihn gestürzt, daß mehrere von seinen Wachen nötig waren, um sie festzuhalten – und auch das gelang erst, nachdem sie ihnen einige unübersehbare Verletzungen zugefügt hatte.
Beim Anblick dieser verfluchten Pelze war etwas in Aurian zerbrochen. Seit jener ersten, furchtbaren Nacht ihrer Gefangenschaft war sie so kühl und fest geblieben wie eine steinerne Bastion, und ihr Mut hatte Nereni neue Kraft gegeben. Aber nachdem die Felle gekommen waren, lag die kleine Frau nun Nacht für Nacht wach, denn bei Aurians bitterem, herzzerreißenden Schluchzen war an Schlaf nicht zu denken.
Nereni gab sich selbst die Schuld daran. Sie hatte augenblicklich jeden einzelnen Pelz zu Eliizar und Bohan hinuntergebracht und außerdem nie wieder ein Wort darüber verloren. Am folgenden Tag war Aurians Gesicht bleich, aber so gefaßt wie stets zuvor gewesen; trotzdem bemerkte Nereni jetzt, wenn sie sie ansah, einen zusätzlichen Schatten des Schmerzes um die Augen der Magusch und wußte, daß sie selbst dafür verantwortlich war.
Sobald sie sich davon überzeugt hatte, daß Eliizar seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte und aß, füllte sie noch eine weitere Schale mit Eintopf und brachte sie zu dem Eunuchen, der jämmerlich zusammengekauert unter seinem eigenen Stapel von Pelzen lag. Er selbst hätte nicht zu ihr kommen können. Seine Wächter, die seine gewaltige Stärke fürchteten, hatten ihn mit langen, schweren Ketten an einen Ring in der Wand gefesselt. Er war unversehrt aus dem Kampf hervorgegangen, wenn man einmal von den Schrammen absah, die die Soldaten ihm bei dem letzten Gefecht zugefügt hatten, aber seine Handgelenke – dick wie Nerenis Oberarme – waren von den schweren Fesseln aufgescheuert worden, denn er hatte mehrmals verzweifelt versucht, sich zu befreien. Wegen der Feuchtigkeit und des Schmutzes im Kerker waren seine Handgelenke jetzt nichts als eine vor sich hin faulende Masse eiternder Wunden.
Bohans dunkles Gesicht war mittlerweile ganz grau und hohlwangig. Obwohl er immer noch ein gewaltiger Koloß war, hatte er doch so viel Gewicht
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