Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
um die Führung herausfordern. So will es die Sitte unseres Stammes«, sagte er. »Es wird natürlich einige Schwierigkeiten geben, denn du bist schließlich ein Fremdländer und nicht so geartet wie wir, aber unser Gesetz sagt, daß jeder die Herausforderung aussprechen darf und daß der Gewinner als Führer akzeptiert werden muß, zumindest bis zum nächsten Dunkelwerden des Mondes, wenn eine neue Herausforderung ausgesprochen werden darf. Bis dahin jedoch ist sein Wort Gesetz.«
»Aber Chiamh«. hatte Parric protestiert, »ich wage zu sagen, daß ich kämpfen kann wie nur irgend jemand, aber was ist, wenn …«
»Ja, ich weiß. Phalias hat den Vorteil, Pferdegestalt annehmen zu können, aber wenn du ein Reitersmann bist, wie du sagst …« Chiamh schauderte bei dem Wort, »dann wirst du ihm gegenüber ebenfalls einen Vorteil haben. Verstehst du, unsere Tradition verlangt, daß die Herausforderung in Pferdegestalt ausgetragen werden muß. Wenn du es also schaffst, auf den Rücken des Rudelfürsten zu kommen, und ihm deinen Willen aufzwingen kannst, dann gehört die Führung dir.«
Parric runzelte die Stirn. »Es ist also kein Kampf auf Leben und Tod.«
Das Windauge schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt, aber in deinem Falle wird es so sein. Da du ein Fremdländer bist, wird der Rudelfürst mit Sicherheit versuchen, dich zu töten. Sei also gewarnt. Aber um die Führung zu gewinnen, wird es nicht notwendig sein, Phalias zu töten; du brauchst ihn nur dazu zu zwingen, sich dir zu unterwerfen.«
»Na wunderbar.« Parric seufzte. Das ist das verrückteste, was ich je gehört habe, dachte er bei sich. Morgen früh ist der junge Narr bestimmt wieder nüchtern und hat alles vergessen …
Aber Chiamh hatte nichts dergleichen getan.
Der Anblick von Chiamh und Sangra, die durch den Schnee auf ihn zukamen, riß den Kavalleriemeister aus seinen trunkenen Erinnerungen. Das Windauge sah so wohlgelaunt aus wie eh und je, aber die Kriegerin hatte diesen gewissen harten Blick in den Augen, den sie sich für Parric reservierte, seit er ernstlich angefangen hatte zu trinken. Verstand die Frau denn nicht, daß dieses endlose Warten einen Mann einfach zur Flasche treiben mußte ? Fest entschlossen, trotzdem freundlich zu sein, sah Parric sie an. »Wie geht es Elewin?« erkundigte er sich.
Sangras Gesichtsausdruck wurde ein wenig weicher. »Sitzt im Bett, ißt Eintopf und beschwert sich bitter über die Unterkunft«, grinste sie. »Die Götter stehen uns bei, er ist wirklich ein zäher, alter Kerl! Wie Chiamh es geschafft hat, ihn vom Rande des Todes zurückzuholen, werde ich nie begreifen.«
Sie lächelte dem Windauge freundlich zu, und Chiamh erwiderte durch die ihm ins Gesicht hängenden Fransen seines Haares ihr Grinsen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Parric zuwandte. »Komm.« Mit unerwarteter Festigkeit riß er dem Kavalleriemeister die Flasche aus der Hand. »Es ist langsam Zeit, nüchtern zu werden, mein Freund. Bis zum Dunkelwerden des Mondes sind es nur noch drei Tage.«
Meiriel, die zitternd in ihrem Versteck zwischen den zerklüfteten Felsen am Eingang des Tals kauerte, war eingedöst und wurde von dem Freudengeheul des Kavalleriemeisters jäh aus dem Schlaf gerissen. Fauchend wie ein wildes Tier und unter wüstesten Flüchen spähte sie hinaus, um zu sehen, was passiert war. Angeekelt setzte sie ihre Flüche fort. Nichts. Wie gewöhnlich. Die drei, Parric, das Kriegermädchen und der kleine Xandimmann standen dicht zusammengedrängt da, fuchtelten mit den Armen in der Luft und unterhielten sich aufgeregt. Reden, reden, reden, das war alles, was sie jemals taten. Diese Narren! Meiriel spuckte auf die frostüberzogenen Felsen. Welchen Sinn hatte es schon, daß sie diesen nutzlosen Sterblichen den ganzen Weg über diesen verfluchten Berg gefolgt war, wenn sie doch nichts unternahmen. Sie brauchte sie, weil sie sie zu Aurian führen konnten und zu Miathans abscheulichem Ungeheuer, das in ihrem Bauch hockte …
Die Heilerin erhob sich und blinzelte. Bei allen Göttern, es war schon fast Abend. Was war nur geschehen? Ihre Glieder waren steif geworden vor Kälte, und der niedergetrampelte Schnee unterhalb ihres Verstecks war leer. Eine Woge der Panik ließ ihr die Wärme zurück in die Adern schießen. Hatte sie sie verloren? Waren sie ohne sie weggegangen? Aber nein. Im Eingang des Turms, den der Xandim bewohnte, konnte sie das kurze, goldene Aufflackern von Fackellicht sehen, das sich auf dem Schnee
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