Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
widerspiegelte. Meiriel wurde beinahe schwindlig vor Erleichterung. Wie gewöhnlich hatten sie auch heute nichts getan. Aber diesmal konnte es ihr nur recht sein.
Auf Händen und Knien kroch sie ein ganzes Stück weg, so daß sie nicht mehr zu sehen war. Dann zog sie sich wieder in ihr eigenes, freudloses Heim unter den zerklüfteten Felsen zurück. Da der Xandim die Angewohnheit hatte, seine Vorräte in Verstecken zu vergraben, damit die gefrorene Erde sie frisch halten konnte, hatte sie genug Nahrung und Pelze gefunden, um überleben zu können. Sie würde warten, dachte sie bei sich, auch wenn diese elenden Sterblichen ewig brauchen sollten. Früher oder später würden sie aufbrechen, um nach Aurian zu suchen, und wenn sie das taten, würde sie, Meiriel, sich an ihre Fersen heften. Irgend jemand mußte einfach tun, was zu tun unvermeidlich war. In der tiefen Dunkelheit ihrer Höhle kaute Meiriel an einer Scheibe rohen Fleisches und lächelte. Morgen würde es immer noch früh genug sein, um wieder Ausschau zu halten.
»Also, was machen wir jetzt?« Parric wußte, daß er nur deshalb viel redete, weil er damit seine Nervosität überspielen wollte, und er verachtete sich dafür, aber er konnte es nicht ändern. Das Lied des Windes heulte wie eine gequälte Seele über die düstere Weite des Windschleierplateaus; die knisternden Flammenzungen der Lagerfeuer schienen nach ihm greifen zu wollen; die Feindseligkeit der Xandim, die ihn umgab, war eine fast greifbare Wand aus Haß und Zorn, die sich mit der dunklen, wachsamen Gegenwart des stehenden Steins verband, der über ihm aufragte. Parric hatte nicht besonders viel Phantasie, aber an diesem Ort bekam er augenblicklich eine Gänsehaut. »Wir halten Wache«, erwiderte Chiamh auf die Frage, von der der Kavalleriemeister bereits vergessen hatte, daß er sie überhaupt gestellt hatte. »Sieh zu, daß du alle deine Fragen jetzt stellst, Parric, denn sobald die Sonne hinter der Schulter des Windschleiers verschwindet, muß bis zur Morgendämmerung Schweigen bewahrt werden, oder die Herausforderung ist ungültig. Und wenn die Dämmerung kommt, kämpfst du.«
Parric fröstelte. »Woher wirst du es wissen, wann die Sonne untergeht?« fragte er. »Du kannst sie hinter den Wolken doch gar nicht sehen.«
Das Windauge zuckte mit den Schultern. »Wir sind die Xandim; wir wissen es einfach«, erwiderte er.
Parric schnaubte. »Lauter Blödsinn, wenn du mich fragst«, murmelte er leise. Elewin hatte ihn jedoch gehört und kicherte. Der alte Haushofmeister hatte, trotz Sangras Protest, darauf bestanden, herzukommen, und saß nun, ein formloses Bündel in dicken Pelzschichten, ganz nahe beim Feuer. Zweifellos, überlegte Parric, war Elewin ein wenig benommen von der Medizin, mit der Chiamh ihn vollgestopft hatte, damit er mit seinem Husten nicht das Schweigen der Wache durchbrach. Törichter, alter Trottel, dachte der Kavalleriemeister. Ich hätte nie zulassen dürfen, daß er mitkommt. Wenn er uns mit seinem Niesen jetzt alles vermasselt …
Noch bevor er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, schämte er sich. Parric wußte, daß seine Nervosität ihn reizbar machte, aber er konnte nicht dagegen angehen. Das war nicht die Art, wie er normalerweise eine Nacht vor dem Kampf verbringen würde: kein Schlaf, kein Essen, keine Unterhaltung und nichts zu trinken. Er dachte zurück an die guten, alten Tage, in denen er, Maja und Forral vor einer Schlacht eine Taverne aufgesucht hatten oder mit einem geteilten Weinschlauch um ein Lagerfeuer wie dieses hier gesessen hatten – an dieser Stelle mußte er sich lächelnd verbessern. Ein Weinschlauch war natürlich nie genug gewesen. Parric seufzte bei der Erinnerung an seinen Kommandanten. O Forral , dachte er. Wo immer du bist, wo immer die Krieger hingehen mögen, wenn sie sterben. Ich hoffe, daß du heute abend zusiehst. Hilf mir morgen, wenn du kannst, denn ich werde alle Hilfe brauchen, die ich bekommen kann, und ich tue das hier für Aurian …
Der helle Klang eines Horns hallte über das Plateau. Das Windauge warf einen Blick auf den Himmel, stieß Parric in die Seite und legte einen Finger auf seine Lippen, um ihm zu bedeuten, daß die Schweigewache begonnen hatte. Der Kavalleriemeister seufzte und versuchte, seine Gedanken auf erfreulichere Themen zu lenken. Soweit war alles wie geplant verlaufen. Gestern war das Windauge hierhergekommen, um dem Rudelfürsten seine Herausforderung zu überbringen, eine Herausforderung, die
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