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Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Titel: Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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hatte, daß Shia eine ganze Weile brauchen würde, um bis zu seiner Höhle zu gelangen, und daß es auch keinen Sinn haben würde, wenn er hier draußen blieb und erfror, kehrte Anvar zu seinem Feuer zurück. Taub vor Entsetzen, setzte er sich nieder, starrte blicklos in die flackernden, frostblauen Flammen und begann zu beten.
     
    Am Fuße des Felsens beendete die alte Katze ihre Unterhaltung mit dem verzweifelten Menschen und fand sich plötzlich allein. Über ihrem Kopf sah sie noch die zuckende Bewegung von Khanus Schwanz, kurz bevor er in dem Schneesturm verschwand. Hreezas eigener Schwanz peitschte vor Wut über den Boden. »Komm zurück, du junger Narr!« brüllte sie. »Shia hat dir befohlen, hier unten zu bleiben!«
    Von weiter oben klang Khanus Stimme zu ihr herunter, gepreßt und heiser, während er versuchte, auf dem schroffen Felsen Halt zu finden. »Shia hat sich geirrt«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Ich zweifle nicht daran, daß sie die Höhle erreichen wird, und wenn sie sie erreicht, wird sie meine Hilfe brauchen.« Plötzlich bekam seine Stimme etwas Hinterlistiges. »Wenn du ihr natürlich erzählst, was ich vorhabe, könnte sich das als eine fatale Ablenkung erweisen, aber das mußt du mit deinem Gewissen ausmachen, Alte. Und jetzt laß mich in Ruhe – diese Kletterpartie ist härter, als sie aussieht.«
    Hreeza wandte sich vor Wut schnaubend von dem schrecklichen Felsen ab. Sie hatte keine Götter, an die sie sich hätte wenden können, und verfügte auch nicht über die den Menschen gegebene Erleichterung des Fluchens. Ihre Kameraden, die sie als zu alt, zu erschöpft und zu schwach für den letzten Rest des Weges betrachtet hatten, hatten nicht einmal daran gedacht, sie in ihre Pläne miteinzubeziehen. Angetrieben von der Dringlichkeit ihrer Aufgabe, hatten sie sie zurückgelassen, so daß sie nun in diesem schrecklichen Schneesturm ganz auf sich allein gestellt war. Zorn und Ärger schossen in Hreeza auf und durchfluteten ihre Glieder, die bereits steif und taub wurden, mit einer Woge heißen Bluts. Sie würden sie also hier im Schnee einfach umkommen lassen, wie? Nun, das würde man ja sehen. Da war immer noch ein Funken Leben in der alten Katze, und dieses Leben würde sie teuer verkaufen – und zu ihren eigenen Bedingungen.
     
    Wie lange war sie geklettert? Shia konnte sich nicht daran erinnern. Die Zeit hatte sich zu einer Ewigkeit dahingezogen, einer Ewigkeit, die diesen ganzen eisigen Felsen umfaßte, an dem sie sich mit der Kraft schierer Verzweiflung festklammerte; die Grenzen ihrer Welt waren enger geworden, hatten sich zusammengezogen auf die Steine, die direkt vor ihr lagen, auf den nächsten Riß oder die nächste Spalte im Felsen, die ihren zerschundenen, aufgerissenen Klauen einen wenn auch noch so geringen Halt geben konnten.
    Der Berg verschwamm vor Shias Augen, so erschöpft war sie, und der Stab, den sie mit ihren Kiefern umklammerte, behinderte sie beim Atmen und versperrte ihr die Sicht. Ihre Gliedmaßen, die sie unnatürlich von sich gestreckt hatte, um sich auf dem Felsen festzuhalten, fühlten sich an, als würden sie nur noch von Bändern aus glühendem Feuer zusammengehalten. Während ihr ganzes Gewicht an ihren Klauen hing, wagte Shia nicht, an den endlosen Sturz in die Tiefe zu denken, der sie erwartete, falls sie auch nur für einen Augenblick schwächer wurde. Sorgfältig vermied sie jeden Gedanken an die Tatsache, daß ihre selbstgestellte Aufgabe beinahe unlösbar war. Statt dessen ging sie einfach weiter und weigerte sich aufzugeben; sie kämpfte eine endlose Reihe kleiner Kriege um jeden einzelnen, brennenden Atemzug. Zoll um Zoll mühte sie sich mit winzigsten Bewegungen den Berg hinauf und sah aus wie eine kleine, schwarze Fliege auf dem Gesicht dieser gewaltigen, unnachgiebigen Wand aus Stein.
    »Shia?« Anvars vorsichtige Stimme durchbrach ihre Konzentration wie ein Peitschenschlag. Ruckartig wurde sie aus ihrer Trance des Leidens und Erduldens herausgerissen und verlor plötzlich jeden Willen zum Weitergehen. Ihr Gewicht schien sich zu verdoppeln, und ihre Klauen rutschten verzweifelt über die glatte, steinerne Oberfläche, während sie ein ganzes Stück haltlos über den Felsen glitt und um ein Haar den Stab fallengelassen hätte. Ihr Herz schlug in ihrer Kehle, und ihre Klauen gruben verzweifelt tiefe Furchen in den halb verfallenen Stein, bis sie endlich wieder Halt fand.
    Anvars Entsetzensschrei hallte noch immer in ihrem Schädel wider.

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