Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
Katze, die direkt unter dem Felsvorsprung der Höhle hing, hatte nur noch mit den Vorderpfoten Halt gefunden und war offensichtlich am Ende ihrer Kraft. Schon jetzt konnte sie sich kaum noch festhalten. »Anvar, kannst du ihn zu fassen bekommen?« rief Shia.
Der Magusch lag bereits der Länge nach auf dem Bauch und beugte sich über den Abgrund. »Verflucht noch mal, ich schaffe es nicht – nicht ganz … Aber warte, ich habe eine Idee!« Mühsam raffte er sich wieder auf, schoß zurück in die Höhle und kehrte mit dem Stab der Erde zurück. Während er selbst sich am oberen Ende festklammerte, dort wo der Kristall eingelassen war, ließ er das andere Ende zu der verängstigten jungen Katze hinunter.
»Nimm das und halt es ganz fest!« rief Anvar. Als Khanu den Stab mit seinen Kiefern umschloß, verband der Magusch seinen Willen mit den gewaltigen Kräften des Stabes und zog, als wolle er einen Fisch aus dem Fluß herausziehen. Khanu, der den Stab fest zwischen den Zähnen hielt, flog den letzten Meter den Felsen hinauf durch die Luft, angetrieben von Anvars Kraft, die durch die Verbindung mit der Macht des Artefakts gewaltige Ausmaße angenommen hatte.
Unglücklicherweise hatte der Magusch den Kraftaufwand, den er benötigen würde, überschätzt. Nachdem Khanu den Stab losgelassen hatte, wirbelte er an Anvar und Shia vorbei in die Höhle hinein, rollte nur um Haaresbreite am Feuer vorbei, um hart gegen die Wand dahinter zu prallen, wo er erschrocken, atemlos und mit zerschundenen Gliedern liegenblieb, während die anderen auf ihn zugelaufen kamen.
»Du Dummkopf! Du idiotischer, junger Narr!« machte Shia ihrem Ärger fauchend Luft. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst unten bleiben?«
Khanu, der im Augenblick noch nicht in der Lage war, sich zu verteidigen, machte einen jämmerlichen Eindruck. Während Anvar noch spürte, wie ein Hauch Mitleid für die junge Katze in ihm aufstieg, bemerkte er aus den Augenwinkeln den Hauch eines Schattens über dem hellen Höhleneingang. Verdammt! Himmelsleute! Anvar dachte schnell nach und griff nach dem Stapel Katzenhäute, der neben seinem Bett lag und warf die Felle über Shia und Khanu in ihrer dunklen Ecke. »Rührt euch nicht von der Stelle! Und seid ganz still!« warnte er die Katzen, während ihm noch gerade rechtzeitig einfiel, daß er auch den Stab verstecken mußte.
Das Schlagen von Flügeln, mit dem die Himmelsleute die Höhle betraten, brachte Shias schockierte, wütende Proteste zum Schweigen. Jetzt, da der Schneesturm sich gelegt hatte, brachten Anvars Wachen ihm seine tägliche Nahrungsration, und der Magusch verfluchte sich dafür, daß er das vergessen hatte. Dank sei den Göttern, daß sie nicht früher gekommen sind, dachte er.
Sobald die Geflügelten wieder weg waren, tauchten Shia und Khanu unter den Pelzen auf, als hätten sie sich verbrannt. Beide schüttelten sich vor Zorn und Widerwillen, und Anvar machte ihnen keinen Vorwurf. Er wußte, wie er sich fühlen würde, wenn er gezwungen gewesen wäre, unter einem Stapel menschlicher Leichen Zuflucht zu suchen. Er fiel auf die Knie, legte einen Arm um jede der großen Katzen und sagte: »Es tut mir leid, aber es war die einzige Möglichkeit, euch zu verstecken.«
Khanu schlich sich in eine Ecke und begann zu würgen, aber Shia starrte nur haßerfüllt auf die Felle. »Was meinst du, wie viele das sind?« fragte sie Anvar. Ihre Stimme hatte die Schärfe von Eis und Stahl.
»Zehn – vielleicht ein Dutzend«, antwortete Anvar. »Um ehrlich zu sein, ich brauchte sie, um zu überleben, aber sie haben mich mit solchem Entsetzen erfüllt, daß ich nicht den Wunsch hatte, sie genauer zu untersuchen. Ich kann nicht einmal ihren Anblick ertragen.« Er schauderte.
Die große Katze sah ihn ernst an. »Du bist ein Freund der Katzen, Anvar. Die, die diese Pelze einst trugen, würden es uns nicht verübeln, wenn wir sie jetzt benutzen. Aber was diese meuchelnden Himmelsleute betrifft – « ihr Blick flackerte wie kaltes Feuer. »Du hast jetzt den Stab, Anvar. Wann fangen wir an? Ich möchte heute noch jemanden töten. Die Himmelsleute werden mir für diese Grausamkeit mit ihrem eigenen Blut zahlen.«
Anvar hatte nichts gegen Shias Pläne einzuwenden. Er hatte bereits genug Zeit in diesem verdammten Loch verschwendet, und auch er hatte einige Schulden zu begleichen. »Zuerst müßt ihr beide, du und Khanu, etwas essen und euch ein wenig ausruhen«, sagte er zu ihr. »Wenn ich erst einmal anfange, möchte ich
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