Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
ihren Mut!« Mit diesen Worten machte Vannor sich mit besserem Appetit über sein Essen her, als er es je für möglich gehalten hätte.
Das schlanke, wendige Schiff der Nachtfahrer mit seinen schattenhaft grauen Segeln glitt lange nach der Abenddämmerung in den Hafen von Norberth und machte an einer verlassenen Mole an der Südseite des Hafens fest. Das furchtbare Wetter hatte in diesem Jahr dem Handel ein Ende gesetzt, und die Stadt erschien mit den wenigen Fenstern, in denen noch Licht war, still und seltsam gedämpft. Auf der Handvoll Schiffe, die an der Nordseite des Hafens lagen, bewegte sich nichts, und auch die Kais waren vollkommen menschenleer. Remana, die am Bug des Schmugglerschiffes stand, zog sich tiefer in ihren schweren Umhang zurück und schauderte. Es wurde bereits wieder Herbst, obwohl es in diesem Jahr einen Sommer nicht gegeben hatte.
Remana dachte sehnsüchtig an Fionals Beschreibung des Tals, wo dieser unheimliche Winter keine Macht hatte. Vom Deck des Schiffs hörte sie gedämpftes Scharren und Rasseln und schließlich das Quietschen des Seils, als das Beiboot mit einer Leichtigkeit, die lange Übung verriet, in die Dunkelheit hinuntergelassen wurde. Neben ihr trat eine Gestalt aus der Düsternis heraus, und Remana, die eigentlich Yanis erwartet hatte, war überrascht, die Stimme von Tarnal zu hören, dem treuen, jungen Nachtfahrer, der Zanna das Reiten beigebracht hatte.
»Bist du bereit zu gehen?« flüsterte er.
Remana nickte und verspürte einen Anflug von Aufregung, bevor ihr klar wurde, daß Tarnal sie in der Dunkelheit kaum sehen konnte. »Ich bin bereit«, flüsterte sie. »Wo ist Yanis?«
»Er wartet im Boot – hat sich immer noch nicht mit dem Gedanken abgefunden, daß du wirklich gehen willst«, erwiderte Tarnal. »Wäre da nicht Gevan gewesen mit seinem ewigen Gewinsel darüber, daß seine Frau keine Männerarbeit tun solle, hättest du ernste Probleme gehabt. Aber du weißt ja, wie Gevan unserem Anführer unter die Haut geht.« Er kicherte. »Yanis wird dich also mitnehmen, und sei es nur, um sich ihm zu widersetzen.«
»Das ist nicht Yanis’ Entscheidung – ebensowenig wie die von diesem Idioten Gevan!« erwiderte Remana mit scharfer Stimme. Dann kletterte sie in das Ruderboot, wobei sie zutiefst dankbar dafür war, daß sie Reithosen trug statt ihrer Röcke, obwohl ihre Kleidung Gevan mit neuerlichen Gründen zur Unzufriedenheit versorgt hatte. Sie seufzte, verärgert darüber, daß jeder glaubte, Yanis nehme sie nur mit, um seinen unleidlichen Kameraden zu ärgern. Seit ihr geliebter Leynard ertrunken war, wollten sie sie alle am liebsten in Watte packen wie ein Baby.
»Komm schon, Mama«, zischte Yanis. »Was hat dich so lange aufgehalten?« Seine Worte trugen nicht gerade dazu bei, Remanas Laune zu verbessern, aber sie holte tief Luft und unterdrückte den eisigen Kommentar, der ihr auf den Lippen gelegen hatte. Nur durch ihr Verhalten konnte sie beweisen, daß sie als Nachtfahrerin genauso wichtig sein konnte wie die Männer.
Mit Tarnal und Yanis an den Rudern und Remana, die auf ihr eigenes Verlangen hin am Steuer stand, glitt das Beiboot im Schutz der hohen Lagerhäuser um die Docks herum auf den großen, weißen Brückenbogen zu, der die Flußmündung ankündigte. Es dauerte nicht lange, da waren die vereinzelten Lichter von Norberth hinter ihnen verschwunden. Nebelschwaden stiegen von dem dunklen Wasser auf und verhüllten die Oberfläche des Flusses wie glitzernde Seide. Remana, die in die Düsternis hineinspähte, biß sich auf die Zungenspitze und konzentrierte sich ganz auf ihre Arbeit. Falls sie das Boot auf Grund setzte oder einen Felsen rammte, würden diese verflixten Schmuggler ihr das bis an ihr Lebensende vorhalten, allen voran Gevan.
Nach dem Schnaufen der beiden Männer zu urteilen, war es harte Arbeit, das Boot stromaufwärts zu rudern. Es dauerte auch erheblich länger, als Remana gedacht hätte. Als sie endlich das Tosen des über das Wehr strömenden Wassers hörte, war sie aus ganzem Herzen erleichtert. Da Yanis ihr mitgeteilt hatte, was auf sie zukommen würde, steuerte sie das Boot in ruhigere Gewässer längs des Ufers, weit weg von den reißenden Wasserstrudeln, und die beiden Männer versuchten nun nach Kräften, das Boot ruhigzuhalten, während sie an Land ging. Mit gedämpftem Stöhnen und Fluchen zogen sie das Gefährt aus dem Wasser und trugen es auf das Ufer und ums Wehr herum, wo sie es an einer Stelle, an der der wilde Strom
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