Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
gewissen Entfernung –, ein Menschenopfer doch vonnöten ist. Dennoch eröffnet uns diese Entdeckung einige interessante Möglichkeiten. Ich glaube, jetzt sind erst einmal ein paar Experimente angebracht. Und wer wäre da besser geeignet als Vannor selbst?« Seine Stimme verwandelte sich in ein leises Schnurren. »Der Mann ist zäh und körperlich gesund. Ich denke, er wird sich eine ganze Weile halten, wenn wir uns gut um ihn kümmern.«
Die Wettermagusch nickte zustimmend. »Wo hast du ihn hingebracht?«
»Ich habe Aurians alte Gemächer für ihn in Ordnung bringen lassen.« Miathan lächelte über ihren erstaunten Gesichtsausdruck. »Wir wollen ihn doch immer zur Hand haben, wenn wir ihn brauchen. Und wir müssen ihn verwöhnen, so lange, wie er sich hält. Außerdem wäre der einzige Ort, an den wir ihn sonst hätten bringen können, das Archiv unter der Bücherei, und von dort aus würde es ihm leichter fallen zu fliehen – oder sogar gerettet zu werden. Nein, jetzt habe ich ihn, und er wird mir nicht noch einmal entkommen!«
Vannor öffnete die Augen und fragte sich einen Moment lang, wo er war. Dann zogen sich seine Eingeweide vor Entsetzen zusammen, als er sich an seine Gefangennahme und die darauffolgende Begegnung mit dem Erzmagusch erinnerte. Die Nachwirkungen von Miathans Angriff waren noch nicht vergessen. Er fühlte sich schwach wie ein neugeborenes Fohlen, und in seinem Körper pochte ein allumfassender Schmerz. Aber seine Leiden gingen in einer Woge der Überraschung unter, als er seine Umgebung wahrnahm.
Der Kaufmann hatte einen Kerker erwartet. Statt dessen fand er sich in einem weichen Bett wieder, das in einer freundlichen Kammer mit grünen und goldenen Wandbehängen stand, und im Kamin brannte ein fröhliches Feuer. Die Möbel waren erlesen, ihre Linien fließend und einfach, ihr ganzer Reichtum lag in dem tiefen Glühen des dunklen, polierten Holzes. Vannor schauderte. Was hatte der Erzmagusch mit ihm vor? Um ehrlich zu sein, hätte er den Kerker vorgezogen. »Auf diese Weise hätte ich wenigstens gewußt, woran ich bin«, murmelte er vor sich hin.
Auf dem Nachttisch neben seinem Bett stand eine Tasse. Ein vorsichtiger Schluck erwies, daß es sich um Tailin handelte, der immer noch warm und mit ein wenig Alkohol angereichert war. Vannor spürte, wie die Wärme des Getränks seine Kehle hinunterrann und bis in seinen Magen vordrang. Sein Körper sehnte sich nach der wohltuenden Flüssigkeit. Noch bevor er Zeit hatte, darüber nachzudenken, ob die Tasse irgend etwas Schlimmeres als Tailin enthalten könnte, hatte er sie bis auf den letzten Rest geleert. Das Getränk schien ihn mit neuem Leben zu erfüllen. Fluchend streckte der Kaufmann seine steifen, schmerzenden Glieder aus, die an manchen Stellen noch die Abdrücke der Seile aufwiesen, mit denen er gefesselt gewesen war. Mit einen dankbaren Blick auf das Feuer, das im Schlafzimmerkamin loderte, taumelte er zu der Tür hinüber, die in das nächste Zimmer führte.
Auch im Wohnzimmer brannte ein helles Feuer. Alles war sauber, ordentlich und freundlich, so wie er es aus lange vergangenen Zeiten in Erinnerung hatte. Die vertraute Umgebung brachte ihm die Vergangenheit so deutlich ins Gedächtnis zurück, daß er sich kraftlos gegen den Türrahmen lehnen mußte. Ein Stöhnen löste sich aus den tiefsten Tiefen seines Wesens. Er erinnerte sich daran, wie er bei verschiedenen Gelegenheiten mit Aurian hier zu Abend gegessen hatte, in genau dieser Kammer, die einst ihr gehört hatte. Aurian – und Forral. Und wo war Aurian jetzt? fragte Vannor sich. Wie mochte es ihr ergangen sein? Es mußte jetzt ungefähr an der Zeit sein, daß das arme Mädchen ihr Kind zur Welt bringen würde. Und wo war Zanna? Trotz all seiner Bemühungen lief sie immer noch irgendwo in dem Morast aus Laster und Sünde herum, zu dem diese Stadt geworden war. Bei den Göttern, wenn er das verflixte Mädchen je zu fassen bekäme, dann … Die Möbel in dem Zimmer waren plötzlich verdächtig verschwommen. Vannor rieb sich heftig die Augen und stellte fest, daß er noch immer unter den Nachwirkungen von Miathans Angriff litt.
Mit Bewegungen wie ein Schlafwandler überprüfte der Händler jeden einzelnen Raum. Die Tür war natürlich verschlossen, und wegen Miathans Zauber konnte er keinem der Fenster auch nur in die Nähe kommen. Als er versuchte, die Kristallscheiben zu berühren, sah er einen Lichtblitz, und seine Hand wurde von einem brennenden Schmerz verschlungen,
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