Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
gab es keinen Grund zum Lächeln – nicht jetzt und auch nicht mehr für eine lange Zeit. Während sie den anderen mit ihrem weißen Hund, der ihr immer dicht auf den Fersen war, durch die dunklen, stinkenden Kanäle folgte, weinte Emmy um die, die sie in Nexis zurückgelassen hatte.
Grince stürzte durch Dunkelheit und Rauch zurück in das Lagerhaus, wo er sich duckte und wand und sich so seinen Weg durch das Gedränge miteinander kämpfender Gestalten erzwang, die einem einzelnen, streunenden Kind wenig Beachtung schenkten. Nicht zum ersten Mal in seinem jungen Leben dankte Grince den Göttern, daß er klein und flink war. Nur seine Fähigkeit, zwischen den größeren Erwachsenen durchzuschlüpfen, bewahrte ihn davor, niedergetrampelt zu werden.
Im Lagerhaus schossen die Flammen schon durch die Decke hindurch und leckten mit gierigen Zungen an den Mauern. Die Luft war schwer und erstickend, und die Hitze stand wie eine undurchdringliche, sengende Wand. Aber zumindest war das Haus fast leer, jetzt, da die Leute vor dem Feuer geflohen waren. Hustend tastete Grince sich zu Emmys kleinem Nest aus Decken vor – und schrak voller Entsetzen vor dem grauenhaften Bild zurück, das sich ihm bot.
»Nein!« Schluchzend ließ er sich fallen, hämmerte mit den Fäusten auf den Boden und stieß wilde Flüche aus. Seine geliebten Hündchen, alle zu einem zerfetzten Haufen Fell zertrampelt! Die Hitze wurde immer schlimmer, und das Atmen fiel ihm jetzt noch schwerer als zuvor. Von oben drang ein seltsames Tosen an seine Ohren. Grince blickte aus tränenüberströmten Augen auf und sah, daß die Rammen jetzt auch an den Stützbalken des Daches züngelten. Eine Woge der Panik ergriff ihn. Er raffte sich mühsam auf und sah, wie sich ein Teil der Decke zu bewegen begann.
Grince packte, ohne nachzudenken, eins der kleinen Pelzbündel und rannte los, rannte um sein Leben, während die Balken weiter nachgaben, lief keuchend, atemlos und blind, einzig getrieben von seinem Instinkt, der ihn durch den Qualm hindurch zur Tür leitete. Funken und brennende Holzstücke landeten auf seinem Haar und versengten seine Kopfhaut, aber er bemerkte es kaum.
Mit einem triumphierenden Aufbrüllen des Feuers fiel die Decke des Lagerhauses in sich zusammen. Nicht eine Sekunde zu früh sprang der Junge durch die Tür; eine Qualmwolke wogte hinter ihm her, und Rammen versengten seine Fersen. Keuchend fiel er zu Boden, aber instinktiv rollte er sich auf den Bauch, um seine kostbare, pelzige Last zu schützen, und mit dem letzten Rest seiner Kraft kroch er aus der Gefahrenzone hinaus, wobei er sich mit einer Hand sein geliebtes Hündchen, mochte es nun lebendig oder tot sein, an die Brust preßte.
Grince setzte sich krampfartig hustend auf und fuhr sich über die tränenden Augen. Das Lagerhaus war jetzt ein flammendes Inferno, und niemand hielt sich mehr im Hof auf – jedenfalls niemand, der noch lebte. Würgend wandte der Junge sich von den dunklen, verzerrten Klumpen ab – Leichen, deren Gesichtszüge größtenteils noch zu erkennen waren. Die meisten von ihnen waren Leute gewesen, die in Jarvas’ Herberge gelebt hatten. Entschlossen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das bißchen Pelz, das immer noch in seinen Armen lag. Es war das weiße Hündchen, sein Liebling. Grinces Herz machte einen Satz, aber er wußte, daß es besser war, sich nicht zu früh zu freuen. Die winzige Kreatur kauerte sich zitternd, schwach und elend in seinen Armen zusammen. Sie lebte noch. Aber das Tierchen brauchte etwas zu fressen und Wärme und Fürsorge. Der Junge sah sich mit wilden Blicken um. Wo war Emmy? Sie würde wissen, was zu tun war. Wo waren überhaupt all die anderen?
Grince schob das Hündchen in die zerfetzten Lumpen seines Hemdes, zu sehr um das kleine Geschöpf besorgt, um über seine eigene, mißliche Situation nachzudenken. Dann straffte er die Schultern und machte sich auf den Weg über den zertrampelten, blutbeschmierten Hof, um Emmy zu suchen. Daß sie sich durchaus unter den überall verstreuten Leichen auf dem Hof befinden konnte, war eine Tatsache, mit der er sich nicht auseinandersetzen wollte. Er fand jedoch nicht Emmy, sondern seine Mutter.
Tilda lag im Schlamm, und ihre Eingeweide hingen aus dem Leib wie bei einem geschlachteten Schwein. Ihre leeren Augen starrten in tiefem Entsetzen in den verqualmten Himmel. Grince stand taumelnd über ihr, zu entsetzt für Tränen, unfähig, seinen Blick von dem grausigen Bild abzuwenden. Nach
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