Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
stellen zu müssen, so bald schon …
Da war es wieder – dieses jämmerliche Wimmern eines Tieres in Not. Dieses Geräusch, das zu drängend war, um ignoriert zu werden, bohrte sich wie ein Messer in ihr Herz. Die Magusch wappnete sich gegen das, was kommen würde, ging langsam zu dem notdürftig bereiteten Bett hinüber und blickte hinab auf ihren Sohn. Der Atem stockte ihr in der Kehle.
Er war winzig, mitleiderregend und vollkommen durchnäßt; seine Augen fest verschlossen wie bei allen neugeborenen Wolfsjungen, sein Körper mit dunkelgrauem, zotteligen Pelz bedeckt. Mit schwachen Gliedern drehte er sich blind im Kreis, wimmerte und suchte nach der verlorenen Wärme von Aurians Körper. Die Magusch, die automatisch auf seine Hilflosigkeit reagierte, streckte die Hand nach dem Wolfsjungen aus … Sie schwebte zitternd über seinem Körper. Sie konnte ihn nicht berühren; sie konnte es einfach nicht. Zorn durchströmte sie: Wut, Trauer und graue Verzweiflung. War es das, was sie in langen Monaten des Kampfes und der Entbehrungen unter dem Herzen getragen hatte? War es das, wofür sie ihre Kräfte verloren hatte, als sie sie so dringend gebraucht hätte? War dieses blinde, wimmernde Stückchen Pelz das einzige Vermächtnis der Liebe, die sie und Forral geteilt hatten? Es war einfach zuviel für sie. Würgend, zitternd und unglücklich bis in die Tiefen ihrer Seele hinein, wandte Aurian sich ab …
Und zum ersten Mal, seit ihr Sohn die sichere Zuflucht ihres Leibes verlassen hatte, spürte sie die helle, zaghafte Berührung des kindlichen Geistes. Ihm war kalt, und er war einsam, blind und hungrig – und menschlich. Menschlich ! Aurian hatte seit ihrer Kindheit Wölfe gekannt, und das hier waren keine Wolfsgedanken, überhaupt keine Tiergedanken. Sein Körper mochte ein Wolfsjunges sein, aber sein Geist war der Geist ihres Sohnes.
»Mein Baby!« Aurians Stimme brach bei diesen Worten, mit denen sie den Wolfling hochhob, um ihn mit ihrem Körper zu wärmen. Heiße Tränen der Erleichterung überfluteten ihr Gesicht. Seine Freude, die Freude ihres Kindes, daß es endlich seine Mutter wiedergefunden hatte, strömte durch sie hindurch.
Bei den Göttern, wie schrecklich er fror! Aurian, die entsetzt über ihre Nachlässigkeit war und plötzlich einen wilden Beschützerinstinkt verspürte, handelte sofort. Während sie ihren Sohn fest an sich drückte, lief sie hinüber zu dem ersterbenden Feuer. Dann warf sie fieberhaft Feuerscheite in den Kamin und setzte sie mit einem schnellen Feuerstrahl in Brand. Erneut spürte sie die gewaltige Flamme der Freude über ihre wiedergefundenen Zauberkräfte. Dann kehrte sie zu ihrem Bett zurück, setzte sich nieder und zog sich unbeholfen die Umhänge um ihre Schultern. Wieso war es ihr vorher nicht aufgefallen, wie kalt es im Zimmer geworden war?
Hunger. Unbeschreiblicher Hunger pulsierte durch die Gedanken ihres Kindes, und einen Augenblick lang zögerte Aurian hilflos. Dieses Muttersein war etwas ganz Neues für sie. Aber das Junge hatte Hunger … Aurian zuckte mit den Schultern und legte ihren Sohn an die Brust. Nun, dachte sie, zusammen werden wir das wohl schon irgendwie meistern …
Es war sehr schwierig, aber der Instinkt, zu saugen, war bei dem Wolfling sehr stark ausgeprägt, und Aurian konnte sich mit Hilfe ihrer Heilmagie seinen Bedürfnissen ein wenig anpassen. Schließlich schafften sie es durch ihre einzigartige Gedankenverbindung und durch die noch tiefere Verbindung der Liebe, die zwischen ihnen bestand. Aurian blickte auf ihren Sohn hinab, während er trank. Kleiner Wolf, dachte sie, und erinnerte sich dabei an diese alte Kindergeschichte, die Forral ihr einmal erzählt hatte, von einem Maguschkind, das seine Eltern im Wald verloren hatte und von Wölfen aufgezogen worden war. Aus dem kleinen Jungen war später ein großer Held geworden, und sein Name war in der Alten Sprache Irachann gewesen – der Wolf. Aurian lächelte ein wenig, als sie darüber nachdachte, wie diese Geschichte sich nun ins Gegenteil verkehrt hatte. Irachann, beschloß sie. Ich werde ihn Wolf nennen.
Das Junge war schließlich in ihren Armen eingeschlafen. Während die Magusch so dasaß und auf ihren Sohn hinunterblickte, ließ sie noch einmal die Ereignisse, die seine Geburt begleitet hatten, vor ihrem inneren Auge vorüberziehen. Der Wolf, dachte sie, und erinnerte sich an die große, graue Gestalt, die mit einem wütenden Fauchen durch ihre Kammer gesprungen war; es war der Wolf, der
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