Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
»Warum kann Anvar es ihnen nicht erklären? Wo ist er?« Ihre Gedankenstimme war kaum mehr als ein Flüstern, das schließlich zu einem verängstigten Aufschrei anschwoll. »Wo ist Anvar? Er kann nicht tot sein. Das hätte ich gespürt!«
»Du hast recht.« Shias nüchterne Stimme trug sehr dazu bei, daß die zu Tode erschrockene Magusch sich wieder ein wenig beruhigte. »Ich hatte noch, während er Schwarzkralle verfolgte und den Tempel verließ, Kontakt zu ihm. Der Priester ist zu einem Turm geflohen, wo Anvar ihn getötet hat. Dann gab es plötzlich ein Erdbeben – kein natürliches Phänomen, da bin ich mir sicher …« Shias Stimme verriet ihre Verwirrung. »Als der Turm zusammenbrach, habe ich den Kontakt mit Anvars Gedanken verloren, aber es fühlte sich nicht so an wie der Tod. Es war einfach so wie damals in Dhiammara, als du dich in dieser magischen Falle verfangen hast und in den Berg hineingerissen wurdest. Es war, als sei er einfach verschwunden.«
»Bei den Göttern!« Aurian war wie betäubt. Was war aus Anvar geworden? War er in eine Falle geraten, die Miathan gestellt hatte, um ihnen den Stab zu stehlen? Aber der Erzmagusch konnte im Augenblick doch nichts tun, nachdem er durch den Tod des Prinzen so abrupt aus Harihns Körper vertrieben worden war. »Hör mir zu, Shia«, sagte sie. »Ich muß eine Möglichkeit finden, nach Aerillia zu kommen. Ich bin im Augenblick nicht in meinem Körper, aber …«
»Dann ist das Kind also da?« erkundigte Shia sich ängstlich.
»Ja, und wir sind jetzt alle frei. Harihn ist tot, aber das erzähle ich dir alles später. Ich werde eine Möglichkeit finden, dich so schnell ich nur kann zu erreichen.«
»Das hoffe ich sehr. Wir sitzen hier unten in der Falle, und es kann nicht mehr lange dauern, bis man uns entdeckt. Aurian, bevor du gehst …« Hastig erzählte Shia der Magusch, was Rabe widerfahren war. Es war eine schlimme Neuigkeit, aber die Magusch hatte zu viele andere Sorgen, um Mitleid für das Mädchen zu empfinden, das sie betrogen hatte. Trotzdem konnte ihr die Information durchaus nützlich sein. In Aurians Gedanken formten sich die ersten Grundlagen einer Idee.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte sie eilig zu Shia. »Paß auf dich auf, meine Freundin, bis ich zurückkehre.« Mit diesen Worten suchte die Magusch nach Chiamh, um so schnell wie möglich wieder in ihren Körper zurückzukehren.
Das Wiedersehen, das im Turm stattfand, war stürmisch. Bohan stürzte auf Aurian zu, und Tränen strömten ihm über das Gesicht, während die Magusch versuchte, ihr Entsetzen über seinen furchtbaren Zustand und die Wunden, die seine gewaltigen Glieder entstellten, zu verbergen. Ihr Haß auf Harihn bekam neue Nahrung, und in dieser Stimmung fiel es ihr nicht weiter schwer, auch ohne Mitleid an Rabe zu denken.
Sie ließ Parric und Schiannath den geflügelten Gefangenen vom Dach herunterbringen, und während eine überaus widerwillige Nereni ihm Suppe und Liafa gab, damit er wieder zu Kräften kam, erzählte ihm die Magusch ohne Umschweife von Schwarzkralles Tod. Obwohl er bei dieser Nachricht erblaßte, glaubte Aurian, ein kurzes Auffunkeln von Erleichterung in seinen Augen zu entdecken, und hoffte, daß es dadurch leichter werden würde, sich seiner Mitarbeit zu versichern. Tatsächlich hatte sie schon seine Dankbarkeit gewonnen, indem sie die Wunden, die Schiannath ihm beigebracht hatte, geheilt hatte, und als sie ihm anbot, ihn frei nach Aerillia zurückkehren zu lassen, wenn er Rabe eine Nachricht überbrachte, war er nur allzugern bereit, ihre Bitte zu erfüllen.
Als sie in der Tür stand und dem Himmelsmann nachsah, wie er durch die mit Schnee beladenen Wolken schwebte, spürte die Magusch, wie jemand neben sie trat. Yazour stand hinter ihr, und sein Gesicht verriet deutlich, daß er sich Sorgen machte. »Aurian, ist es klug, daß du Rabe noch einmal dein Vertrauen schenken willst?« fragte er sie.
Aurian zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine andere Wahl«, erwiderte sie. »Ich muß persönlich nach Aerillia, wenn ich herausfinden will, was mit Anvar geschehen ist. Außerdem, welche Wahl hat sie denn schon? Nach dem, was Anvar Shia über die Zerstörung von Rabes Schwingen erzählt hat, sind meine heilenden Kräfte ihre einzige Hoffnung, jemals wieder fliegen zu können. Und wenn sie meine Hilfe will, wird sie verdammt gut beraten sein, meine Bitte zu erfüllen und mir ihre geflügelten Krieger zu schicken, die uns nach Aerillia bringen.«
»Und
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