Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
konnte er die Windharfe gewinnen. All das konnte ihm nur gelingen, indem er eine Begegnung mit ihr herbeiführte – und nun, so schien es, hatte er ihre Aufmerksamkeit errungen.
Das war ja alles gut und schön … Zumindest versuchte Anvar sich das einzureden. Aber die Herrin der Nebel war einer der Wächter: weit über jenen, die die Maguschlegenden als Götter bezeichneten. Ihre Macht überstieg selbst die Hellorins, denn die Phaerie verfügten lediglich über die Macht der Alten Magie. Die Cailleach war eine solche Macht in Person, fleischgewordene Macht – und sie besaß außerdem noch die Wilde Magie, die gefährlichste von allen.
Mittlerweile war die Insel vollends aufgetaucht, und das Wasser begann sich zu beruhigen. Dann tauchte auch Anvars Kiesstreifen wieder auf, nur daß er sich inzwischen verändert hatte. Das Tal wurde ebenfalls wieder still, aber ohne sein früheres Gefühl von Frieden. Jetzt war die Atmosphäre angespannt und voll brütender Erwartung.
Anvar wartete … und wartete, bis er die Spannung nicht länger ertragen konnte. Es schien, als müßten Zeit und Wirklichkeit zerbrechen, als schwirrten sie wie eine straff gespannte Sehne. Dann erinnerte der Magusch sich daran, wie Aurian den Stab der Erde gewonnen hatte und was sie ihm von ihrer Begegnung mit dem Drachen erzählt hatte. Nichts war geschehen, bis sie selbst die Initiative ergriffen und den Bann gebrochen hatte, der den goldenen Feuermagusch aus der Zeit genommen hatte …
Anvar holte tief Luft. Es war offensichtlich, daß die Cailleach sich seiner Gegenwart bewußt war. Der nächste Schritt mußte dann also bei ihm liegen. »Herrin, ich bin hier!« rief er. »Im Namen der alten Magusch, der Zauberer, die du einst beschützt hast, grüße ich dich!«
Er bekam keine Antwort – zumindest nicht in einer menschlichen Sprache. Statt dessen wehte, gerade als Anvar sich zu fragen begann, was er als nächstes tun sollte, ein Klang von hauchzarter Musik über den See zu ihm herüber. Die fremde Musik war so wild, so ätherisch, so herzzerreißend schön, daß der Magusch spürte, wie seine Kehle sich zusammenschnürte. Tränen strömten über sein Gesicht, und ohne zu wissen, was er tat, wischte er sie sich mit einer unbewußten Nachahmung von Aurians kindlicher Geste mit dem Ärmel ab.
Es war die Musik einer Harfe. Während jede Note klar und vollkommen über das dunkle Wasser glitt, wurde sie für Anvar sichtbar; ein Wasserfall aus Musik, wie ein Sternschnuppenregen, und jede kristallene Note ein klarer und vollkommener Punkt aus Licht. Der Magusch sah verloren in tiefem Staunen zu, wie sich plötzlich eine Brücke aus Gesang über den stillen Tempel wölbte.
Als die letzten zauberhaften Takte erklangen, fiel eine weitere Schar von Sternen auf den steinernen Strand nieder, berührte den Boden und blieb dort liegen. Der Magusch holte tief Luft, schloß seine Finger fest um den Erdenstab und trat auf die Brücke aus Sternen.
24
Die Herrin der Nebel
Das Windauge klopfte Aurian unbeholfen auf die Schulter, und sie war ihm dankbar für diese Geste des Verständnisses. »Du sagtest, dein Begleiter, die andere helle Macht, sei in Aerillia?« fragte er sie. Die Magusch nickte, und trotz ihrer Besorgnis konnte sie sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen angesichts seiner Beschreibung von Anvar. Sie hatte eine augenblickliche Zuneigung zu diesem rundgesichtigen, scheuen, jungen Seher mit dem freundlichen Lächeln gefaßt.
»Du hast vorhin gesagt, daß du mir vielleicht helfen könntest. Aber wie?« fragte sie.
»Ich werde meine Andersicht benutzen, um auf dem Wind nach Aerillia zu reiten«, sagte das Windauge zu ihr. »Dort sollte ich mit einigem Glück in der Lage sein, deinen Begleiter zu finden.«
Aurian sah voller Erstaunen zu, wie das Silber Chiamhs Augen überflutete. Er lehnte an der Brüstung und entspannte sich, während aller Ausdruck aus seinen Zügen wich, und die Magusch begriff, daß sein Bewußtsein seinen Körper verlassen hatte. Plötzlich hatte sie eine Idee. Sie atmete tief durch, entspannte ihren eigenen Körper und schlüpfte mühelos aus ihrer irdischen Gestalt.
Chiamh schwebte immer noch über dem Turm: ein goldener Wirbel leuchtenden Lichts. Sie sah sein erstauntes Flackern, als er ihre Gegenwart spürte. »Kannst du mich hören?« fragte Aurian ihn. In ihrer körperlichen Gestalt hatte sie nicht daran gedacht, sich mit dem Windauge mittels Gedankenrede zu unterhalten, und einen Augenblick lang
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